In einem der letzten James Band flüchtet der Protagonist in halsbrecherischen Stunts über die Dächer einer italienischen Stadt, und irgendwann bekommt man auch kurz den Stadtplatz zu sehen, auf dem alljährlich der „Pallio“ stattfindet, eine Pferdewettrennen, bei es wohl nicht nur um Spaß geht, sondern auch um sehr viel Geld. Die einzelnen Stadtteile haben alle ihre eigenen Namen und Embleme, Symbole und Fahnen und treten gegeneinander im fairen Wettstreit an. Aber sie werden nicht über die Dächer der Stadt gejagt, sondern über den Stadtplatz, wo auf engstem Raum ein unglaubliches Schauspiel stattfindet.
In seiner Geschichte „Der Palio von Siena“ beschreibt Aldous Huxley, der englische Schriftsteller, der durch „Brave New World“ bekannt wurde, genau dieses Schauspiel und beginnt mit den Worten: „Aus dem Fenster schaute man über die braunen Ziegeldächer, dorthin, wo, auf ihrem Hügel, die Kathedrale stand.“ Aber Huxley beschreibt dann doch lieber sein Leben in Siena in einem 30 Meter hohen Turm, um den die Mauersegler in verschlungenen Arabesken flogen, bis ihm, dem Erzähler schwindlig vom Beobachten wurde. Doch dann treten die Trommler aus den verschiedenen Contraden, den Stadtbezirken Sienas, auf und Huxley beschreibt wie es kein anderer kann ihr Uniformen. „Ihre ausgebreiteten Fahnen wehten dort unten auf der Straße wie die bunten Flügel riesiger Schmetterlinge.“Selbst für die Sieneser verliere der Festzug trotz aller Vertrautheit nie seinen Reiz, versichert Huxley, und wer im August einmal die Stadt besucht, wird ihm sicherlich zustimmen.
Die Provinz Siena ist Teil der Toskana. Die Geschichte dieser Region reicht weit zurück und begann schon bei den Etruskern, so Iris Origo in „La Foce“: „Schon im fünften Jahrhundert gab es etruskische Siedlugnen, Nekropolen und Heilbäder. Die Kastanienwälder an den Hängen des Monte Amiata hatten während des Zweiten Punischen Krieges das Holz für die römischen Galeeren geliefert.“ Danach seien die Langobarden und Karolinger, die Aldobrandeschi, Grafen von Santa Fiora, gekommen und hätten so viele Burgen gebaut, dass sie sich brüsteten, jede Nacht des Jahres in einer anderen verbringen zu können. San Quirico d`Orcia, Sant`Antimo oder Pienza, eine der vollkommensten Idealstädte der Renaissance, alle diese Städte befinden sich im Orcia-Tale nahe Sienas und die verschiedensten Autoren widmen ihnen Geschichten, so wie Antonio Tabucchi in „Gewitter in Sant`Antimo“: „Geh ins Bett und schlaf mit ihr“, sicherlich nicht der schlechteste Rat für die Zeit während eines Gewitters.
Gianna Nannini, die wohl bekannteste Tochter der Stadt, die Naturliebe des Piccolomini-Papstes, die Historikerin Iris Origo, die alten Giftereien von Giorgio Vasari, die Verblüffung Umberto Ecos angesichts des Palio, Hyppolite Taine, Henry James, Zbigniew Herbert und José Saramago oder Romano Bilenchi, Federigo Tozzi und Mario Luzi: alle diese Personen waren schon einmal in Siena und haben darüber sehr viel Interessantes sowie Amüsantes zu erzählen.
Donatella Germanese (Hrsg.)
Siena
Eine literarische Einladung
SALTO. 2011
144 Seiten. Rotes Leinen. Fadengeheftet
mit Abbildungen
15,90 €
ISBN 978-3-8031-1279-8
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2011-10-20)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.