Nach ihrem ersten sehr erfolgreichen und von der Kritik sehr gut aufgenommenen Roman "Wir sind doch Schwestern" hat die mittlerweile als freie Schriftstellerin arbeitende Anne Gesthuysen nun ihren zweiten Roman vorgelegt. Wie sie im Nachwort verrät, hat auch die bezaubernde Geschichte dieses Buches ihre Anfänge und Grundlage in ihrer eigenen Biographie.
Auf zwei bzw. drei Zeitebenen erzählt sie eine Geschichte, in der es geht um Freundschaft, Vaterschaft und vor allen Dingen um das Leben von Künstlern.
Die eine Hauptperson ist die 40-jährige alleinerziehende Lilie Agutte, die
in Paris lebt und eine Vorfahrin hat, die als Künstlerin mittlerweile vergessen ist.
Doch als ein Einbrecher in ihrer Wohnung es
auf ein altes Bild aus dieser Zeit abgesehen hat, fängt sie nachzuforschen. Erst recht, als Lilie von ihrer langjährigen Freundin Hanna nach Xanten in Deutschland gerufen wird, weil deren Vater schwer erkrankt ist. 1986 war Lilie von Hermann und dessen Familie wie eine eigene Tochter aufgenommen worden. Immer wieder werden in kurzen Rückblenden die Ereignisse damals in Erinnerung gerufen.
Wichtiger aber sind die beiden Haupterzählstränge. Der eine, der im Jahr 2007, der Gegenwartsebene des Romans eine spannende und abenteuerliche Suche des krebskranken Hermann zusammen mit Hanna und Lilie beschreibt, die sie auf der Spur eines verschollenen Bildes nicht nur durch die halbe Welt führt, sondern sie alle drei auch zum Wesentlichen ihres Lebens bringt und die andere, die den gespannten Leser immer wieder zwischen 1887 und 1922 das Leben und auch Leiden von Lilie Vorfahren Georgette Agutte und ihrem Mann,dem sozialistischen Politiker Marcel Sembat.
Insbesondere diese Abschnitte des Buches führen den Leser ein in das Leben und Wirken von vielen Künstlern und Intellektuellen der Pariser Belle Époque. Anne Gesthuysen gelingt es dabei ganz hervorragend, die bewegte und tragische Geschichte einer in Vergessenheit geratenen Künstlerin zu verbinden mit einer langen Reise des Abschieds von Menschen, die mehr füreinander waren als nur Freunde.
Ein berührender und gleichwohl sehr lehrreicher Roman über Kunst, Politik, Freundschaft und das Glück einen väterlichen Freund zu haben.
Anne Gesthuysen, Sei mir ein Vater, Kiepenheuer & Witsch 2015, ISBN 978-3-462-04832-2
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2016-01-26)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.