Der neue Roman des israelischen Schriftstellers Assaf Gavron ist ein außergewöhnliches Buch. Ein Stück engagierter israelischer Gegenwartsliteratur, die sich des schwierigsten Themas überhaupt angenommen hat: dem Konflikt zwischen der israelischen Regierung und der palästinensischen Autonomiebehörde um einen verlässlichen Frieden. Einer der problematischsten Verhandlungspunkte sind die Siedlungen der Israelis in den Hügeln der Westbank, von denen Gavron eine fiktive namens Maaleh Chermesch 3, ein Außenposten, ein Satellit einer seit Jahrzehnten bestehenden jüdischen Siedlung in den Mittelpunkt seines Buches gestellt hat. Während nach der einen Variante dieses Land „verwaltet“ wird, nennt es die andere – mit viel internationaler Unterstützung übrigens – eine „Besatzung“. Seit 46 Jahren nunmehr.
Zwischen diesen Interessen von jüdischen Siedlern und arabischen Einwohnern, den Sicherheitsinteressen Israels und den Staatlichkeitsansprüchen der PA, zwischen weltlicher Politik und biblischem Heilsversprechen ist der Roman angesiedelt. Hier kreuzen sich auch die Wege von Gavrons Figuren. Des jüdischen Siedlers, der Cherrytomaten anbauen will. Des arabischen Familienvaters, der aus jahrhundertealten Bäumen Olivenöl presst.
Viel ist in der Vergangenheit über die jüdischen Siedlungen in der Westbank mit ihren mittlerweile 340 000 Einwohnern geschrieben worden, aber meines Wissen noch kein Roman. Ein Roman, der bei allem hintergründigen Witz und versteckter Ironie neutral bleibt und einfach verstehen will, was in den Menschen vorgeht, die das harte Los eines Siedlers auf sich nehmen und welche Verstrickungen und Machtspiele es in Israels Regierung, Armee und öffentlicher Verwaltung um diese Gebiete und ihre Menschen gibt.
In „Auf fremdem Land“ erzählt Gavron die Geschichte von zwei Brüdern. Sie sind als Waisen(ihre Eltern kamen bei einem Verkehrsunfall ums Leben) in einem Kibbuz in der Nähe des Sees Genezareth aufgewachsen. Roni, einige Jahre älter als sein Bruder,betreibt zunächst sehr erfolgreich eine Kette von Bars in Tel Aviv, bevor er als Investmentbanker in New York reüssiert, eine Menge Geld macht und dann 2008, wie so viele seine Kollegen, sich verzockt und mit einem Haufen Schulden nach Israel flieht. Sein jüngerer Bruder Gabi (Gavriel) hat es als Familienvater versucht, sich auch alle Mühe gegeben, ist dann aber doch gescheitert. Er versucht seinen Frieden in der Religion zu finden und versenkt sich in den Chassidismus.
Zu Beginn des Buches – die jeweiligen Lebenswege werden im Laufe der Handlung nachgeblendet- treffen die beiden in Maaleh Chermesch 3 wieder zusammen, jenem schon erwähnten Außenposten einer schon sehr lange bestehenden gleichnamigen Siedlung. Es ist eine von einem einzelnen Siedler namens Otniel Asis ( er ist im Hintergrund die dritte Hauptperson des Romans) gegründete und illegal errichtete Containersiedlung aus Wohnwagen, die nur notdürftig befestigt sind und deren Abriss beschlossene Sache ist, weil sie zum einen auf einem Naturschutzgebiet liegt, und zum anderen auf brachliegendem palästinensischen Privatland. Und dazu kommt, dass mitten durch die illegale Siedlung ein wichtiger Abschnitt der umstrittenen israelischen Sicherheitsmauer gebaut werden soll.
Gavron erzählt von den Menschen dort ohne sie zu erhöhen oder zu verdammen. Mit seiner feinen Ironie geht er sehr sparsam um. Selbst weder religiös noch aus einer Siedlerfamilie stammend, will er verstehen, was dort vor sich geht. Die Siedler sind für ihn ein interessanter und natürlich auch politisch relevanter Teil der israelischen Gesellschaft, als deren Teil er sich als Schriftsteller versteht. Er sagt: „Es gibt keine eindeutige oder eindeutig durchgesetzte Rechtslage. Sie haben das internationale Völkerrecht, das in militärisch besetzen Gebieten in Kraft tritt und von Israel mit unterzeichnet wurde. Sie haben das israelische Zivilrecht, das für israelische Staatsbürger, also die jüdischen Siedler, gilt. Und Sie haben die palästinensische Verwaltung und das israelische Militärgesetz. In diese Lücken schlüpfen die Siedler hinein und kreieren ihr eigenes Rechtsverständnis. Wie im Wilden Westen.“
Gavron hat selbst als Recherche zu seinem Roman lange in einer ähnlichen Siedlung gelebt und schaut mit seinen durchaus auch sympathischen Figuren hinter die festgefahrenen Fronten der verfeindeten Lager, ähnlich wie er es in „Ein schönes Attentat“ mit einem palästinensischen Selbstmordattentäter getan hatte. Er sagt dazu: „Ich vergleiche nicht Siedler mit Selbstmordatten¬tätern, aber es geht mir um ein ¬verwandtes Wahrnehmungsmuster: Stecken hinter ihren Taten Menschen, die auch gute Menschen sein können? Zu ihren Kindern, zu ihren Frauen, zu ihren Nachbarn oder zur Natur? Das macht die Welt komplizierter, aber ich glaube, Literatur ist geeignet dafür, in die tieferen Strukturen des menschlichen Wesens und Handelns hineinzublicken. Aber ¬natürlich, wenn am Ende des Tages mein Buch als siedlerfreundlich wahrgenommen wird, dann sträube ich mich dagegen. Das muss ich aushalten.“
Ich jedenfalls habe durch das Buch viel gelernt über das Siedlerphänomen und auch, dass es so einfach nicht aus der Welt zu schaffen ist. Das es nach wie vor nötig ist, einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen zu schaffen. Vielleicht bringen ja die gegenwärtigen, noch im Stillen stattfindenden Verhandlungen dieses Mal einen Fortschritt.
Gavrons Buch, dem man noch eine größere Rezeption im deutschsprachigen Raum wünschen würde, hat jedenfalls viel zum Verständnis eines uralten Konfliktes beigetragen. Gavron zählt zu Recht zu den wichtigsten israelischen Autoren der Gegenwart.
Assaf Gavron, Auf fremdem Land, Luchterhand 2013, ISBN 978-3-630-87419-7, 550 Seiten
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2015-05-21)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.