"In my surroundings, the quest for love seems to have replaced the search for God. The determination to find your `true love´, your soulmate, creates so many contradictions", meint der Schweizer Filmemacher in einem Interview. In "99 Moons" prallen Bigna und Frank in einer leidenschaftlichen Obsession aufeinander, die keine Zukunft kennt, sondern nur den einen Moment der Ekstase. Aber alle Lust will Ewigkeit...
Sex oder Liebe?
Bigna ist eine 28-jährige Wissenschaftlerin, die sich mit Erdbeben und deren Vorhersehbarkeit beschäftigt. In einem ihrer Feldversuche, kann sie wissenschaftlich verifizieren, dass die Bewegungsaktivität von Ziegen in Chile zunimmt, wenn ein Erdbeben bevorsteht. Aber Bigna hat auch eine andere, dunkle Seite. Nächtens vergnügt sie sich mit wechselnden Partnern in Rollenspielen. Der 33-jährige Frank ist der erste, der sie fragt, ob sie es wiederholen könnten. Bigna verneint zunächst, fühlt sich dann aber doch so geschmeichelt, dass daraus eine On/Off-Beziehung erwächst, die sich bis hin zur Selbstaufgabe steigert. Regisseur Jan Gassmann setzt teilweise drastische Sexszenen ein, um die Verzweiflung seiner Protagonistin auszudrücken, denn es geht vor allem um sie, Bigna, dargestellt von den der Newcomerin Valentina Di Pace. Aus der leidenschaftlichen Sucht wird bald eine Obsession, vor allem für Frank, der Bigna auch dann noch begehrt, als sie einen Geschäftsmann heiratet. Als die beiden es endlich ernsthaft miteinander versuchen und sogar ein Haus finden und Bigna schwanger wird, stößt sie allerdings an ihre Grenzen.
Ein Erdbeben beim Liebesakt
99 Moons erzählt die Geschichte einer unmöglichen Liebe, aber auch die Unmöglichkeit der Liebe an sich. Denn aus körperlicher Anziehungskraft wird - wie es scheinbar in der Natur der Sache liegt - alsbald hohle Wiederholung physischer Selbstbefriedigung. Auch wenn die Ekstase scheinbar zusammenführt und gemeinsam auf einen Höhepunkt zugesteuert wird, kann das gemeinsame sexuelle Erlebnis doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es doch der Liebe bedarf, um darin wirkliche Erfüllung zu empfinden. Aber wie kann man die körperliche Leidenschaft erhalten, wie eine Beziehung sublimieren, wenn der Sexdrive nachlässt und die heteronormativen Zwänge zu einem konservativen, monogamen Familienbild zwingen? Die beiden Protagonisten finden dazu unterschiedliche Zugänge, aber verletzen dabei beide andere Menschen. Warum nicht alles offen aussprechen und die Wahrheit leben? Als bei einem Liebesakt das Bett und der Raum der Liebenden sinnbildlich von einem Erdbeben erfasst wir kulminiert auch die Handlung und bricht in ihr Gegenteil.
Die Herausforderung für viele Paare sei es, die sog l'amour physique die sich durch Intensität, Ekstase und emotionales Hin und Her auszeichne, zu transformieren, bevor die Leidenschaft abkühlt, so Jan Gassmann. Sein Film, der an physischen und psychischen Grenzen rührt, ist ein guter Anstoss, sich einmal selbst darüber Gedanken zu machen.
Jan Gassmann
99 Moons
2023, Schweiz, 112 Min.
HauptdatenDrehdatenProjektdaten
EAN: 4042564229332
Alamode/publicinsight
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2023-03-20)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.