Ethnische Heterogenität ist keine Erfindung der Neuzeit. Der Umgang mit Menschen anderer Volkszugehörigkeiten zieht sich durch die Geschichte hindurch. Ein oft wenig rühmliches Kapitel für die sogenannten „zivilisierten“ Nationen der Zeitgeschichte.
Basierend auf seiner Promotion geht Benno Gammerl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck Institut für Bildungsforschung in Berlin, der Frage des Umgangs mit Migranten im Blick auf das Britische Weltreich und das Habsburgerreich für die Zeit von 1867 bis 1918 nach.
Im Vorwort bereits verdeutlicht er den Bezug des Themas zur gegenwärtigen Immigrationsdebatte und im Blick auf die Frage der europäischen Integration. „Wer darf eine Grenze überqueren und wer nicht“? Und wie geht man um mit den fremden Sitten und Traditionen inmitten des eigenen und gewachsenen Traditionsumfeldes? Ein gegenwärtig wichtiges Thema, dass, so zeigt das Buch, auf Entwicklungen des beginnenden 20. Jh. beruht, die bis heute nachwirken.
Im 1. Hauptteil legt er dabei den Schwerpunkt auf die vorherrschenden ethnischen Logiken in den verschiedenen Teilgebieten der beiden Großreiche. Im 2. Hauptteil wird der Umgang mit ethnischen Differenzen beschrieben und ausgewertet, der Bruch von einer ethnischen Neutralität zu einer Spaltung der Bevölkerung zu Beginn des 20. Jahrhunderts dargestellt.
Der 2. Hauptteil endet mit einem Blick auf die Entwicklung in den Kriegsjahren. Verdeutlichend wird hier dargestellt, wie einerseits ethnische Minderheiten umgangssprachlich als „Kanonenfutter“ durchaus anerkannt waren, wie aber anderseits diese „Gleichstellung“ in Bezug auf den Kriegsdienst sich eben nicht in einer Ausweitung staatsbürgerlicher Rechte für Betroffene niedergeschlagen hat.
In der Ergebnissicherung wird deutlich, dass fundamentale Unterschiede in der Frage ethnischer Differenzen im Vergleich der „festländischen“ Umgangsweise (Habsburg) und „insulärer“ Umgangsweise (Britannien) vorliegen. Gammerl unterscheidet in seiner Ergebnissicherung hier zu Recht zwischen einer „Integration“ ethnischer Verschiedenheiten einerseits und andererseits zweier Arten eines differenzierenden Umgangs: einer „anerkennenden“ und einer „diskriminierenden“ Weise. Hier schlägt sich eine Brücke zu gegenwärtigen Diskussionen. Wenn schon nicht ein integrativer Ansatz auf Anhieb gelingt, so wäre doch im Bereich der Differenzierungen in der Art einer „Anerkennung“ wesentlich konstruktiver als in Form einer diskriminierenden Differenzierung.
Wie nicht anders zu erwarten von einer Promotionserweiterung ist das Buch wissenschaftlich exakt strukturiert. Die vorweggestellte Klärung von Methoden, Begriffen und Fragen zeigt dies ebenso wie das umfassende und sinnvoll unterteilte Quellen- und Literaturverzeichnis, sowie das ausführliche Register.
Das behandelte Thema ist umfassend bearbeitet. Die schon im Habsburger Reich vorliegenden Tendenzen zu einem aussondernden Umgang mit Juden, der schon 1884 sich im Entziehen der österreichischen Pässe niederschlug, bietet ein eindrucksvolles Bild auf sich steigernde, antisemitische Tendenzen, die im 20. Jh. ihren furchtbaren Höhepunkt (durch einen gebürtigen Österreicher!) dann fanden.
Bedauerlich ist, dass die explizite Brücke des Vorwortes zwischen dem behandelten, historischem Thema und den aktuellen Fragen gegenüber den islamischen Mitbürgern und der europäischen Integration nicht weiter aufgenommen werden. Einige Beiträge mehr hätte ich aufgrund des Vorwortes zumindest in der Ergebnissicherung als Ausblick erwartet.
Fazit: Als wissenschaftliches Fachbuch zum konkreten Thema und als Grundlage zur weiteren Arbeit im Blick auf gegenwärtig drängende Fragen uneingeschränkt zu empfehlen. Für den Laien aufgrund der hochkomplexen Sprache und der wissenschaftlichen Tiefe nicht leicht zugänglich.
[*] Diese Rezension schrieb: Michael Lehmann-Pape (2010-05-04)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.