„Nighthawks“ von Edward Hopper hängt in der römischen Bar Tiberi über dem Tresen, hinter dem Massimo nach dem unvorhergesehenen Tod seines Vaters sein Leben verbringt. Es drücke eben die „Einsamkeit des Baristas inmitten der schwatzenden Gäste“ am besten aus und sei so zu seinem Lieblingsbild geworden, erzählt uns der Autor über den sensiblen und sympathischen Römer, der - ganz anders als seine Gäste – ein sensibler und aufmerksamer Zeitgenosse ist. Seine Arbeit hinter der Bar ist für ihn mehr eine Leidenschaft, denn eine Tätigkeit und so werden die meisten Kunden Massimos vom Erzähler auch mit der dazugehörigen Cafèsorte in Klammer beschrieben. Im Anhang befindet sich dann ein kleines Cafè-ABC, wo nicht nur die verschiedenen Kaffeesorten beschrieben werden, sondern jeder Kaffee auch einem bestimmten Charakter Mensch zugeordnet wird. „War er gut gelaunt, kam er sich hinter seiner Maschine vor wie am Schaltpult des Universums, an schlechten Tagen aber auich wie auf der Kommandobrücke der Roten Oktober. Doch wie immer es für ihn lief, hier befand er sich an der Stelle, an der er etwas bewegen konnte. Denn hier entschieden sich Schicksale.“
Verzauberte Transformation
Tatsächlich wird sich auch Massimos Schicksal in dieser Bar entscheiden, denn eines Tages betritt eine Französin sein Bar und veranlasst ihn quasi das erste Mal in seinem Leben hinter seinem Tresen hervorzukommen und seine gewohnte Umgebung und sogar die wunderschöne Stadt Rom zu verlassen. Wie es dazu kommt ist selbstverständlich viel zu verwickelt, um es hier auch nur annähernd treffend darstellen zu können, aber es lohnt sich allemal den süßen und verzaubernden Worten des Baristas selbst zu lauschen. Denn der Autor ist tatsächlich selbst auch Barista und der vorliegende Roman sein Debüt. Man mag sich fragen, was seine Frau zu diesem Roman sagen wird, aber vielleicht war sie selbst ja die geheimnisvolle Französin, der Galdino sein erstes Buch widmet. Der Zustand des Verliebtseins ist ohnehin ergebnisunabhängig und vielleicht ist es auch gar nicht so wichtig, ob es schließlich zum Ziel führt, denn was eigentlich zählt ist nicht die Erwiderung des Gefühls, sondern die eigene Verzauberung und Transformation. Denn die Liebe holt gemeinhin das Beste aus jedem Mensch heraus.
Römischer Sommer
„Im August beginnt der Winter“, sagt ein altes italienisches Sprichwort, das auch der Autor kennt und es ist wirklich nicht nur eine Redewendung, denn nach der Nacht von San Lorenzo, in der die meisten Sternschnuppen des ganzen Kalenderjahres fallen mag man sich sputen, wenn man noch jemanden zum Überwintern finden will. Galdino schreibt nicht nur über seine Arbeit als Barista, oder über die Liebe, er erzählt auch ein Schicksal, das so alltäglich wie überraschend sein kann, je nachdem wieviel Lebenserfahrung man mitbringt. Denn wer lange genug lebt wird zugeben müssen, dass einem die unwahrscheinlichsten Dinge passieren können und dass auch eine Französin die nur Rosenblütentee trinkt, sich doch in einen Barista verlieben kann, dessen eigentliche Leidenschaft der Kaffee ist. „Rede nicht so viel, sonst bleibt dir die Zunge am Gaumen kleben“ ist einer von vielen amüsanten Ratschlägen, die Massimo von seinen Gästen bekommt, aber natürlich muss er erst lernen, die eigene Stimme des Herzens zu hören, bevor er das Sommergewitter im August mit seiner Liebe übertönen kann. Eine durchaus sympathische Geschichte mit viel Lokalkolorit und witzigen Einfällen, wie sie eben nur ein römischer Barista haben kann.
Diego Galdino
Der erste Kaffee am Morgen
Roman
Übersetzung aus dem Italienischen von Gabriela Schönberger
Thiele Verlag 2014
319 Seiten
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2014-08-15)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.