„List und Tücke“ ist 1988 als Quartheft 134 bei Wagenbach erschienen und antiquarisch noch leicht für wenig Geld zu bekommen. Es ist eine Auswahl von sechs Erzählungen (Übersetzung: Toni Kienlechner) aus dem 1963 bei Garzanti Editore in Mailand herausgekommenen größeren Sammelband „Accoppiamenti giudiziosi“ und eignet sich hervorragend als Einstieg in das Werk eines der originellsten Schriftsteller Italiens im 20. Jahrhundert. Der Leser gewinnt rasch einen Eindruck vom vertrackt satirischen „Makkaroni“-Stil des Autors, von seinen Stoffen, seinen typischen Verwicklungen ohne Lösungen. Sagt ihm diese Prosa zu, mag er sich an die weiteren auf Deutsch vorliegenden Romane und Erzählungen machen.
Die Texte Nr. 1 und 3 sind Auszüge aus dem bisher nicht komplett auf Deutsch erschienenen Roman „La meccanica“. „Papa und Mama“ schildert die verzweifelt komischen Anstrengungen eines Mailänder Elternpaars anno 1915 beim Eintritt Italiens in den 1. Weltkrieg: Wie halten sie den hoffnungsvollen Sprössling von der Front fern? Wir sehen eine noch bürgerlich geordnete Welt vor uns, die gerade erst begonnen hat, via Schiefe Ebene ihrem Untergang entgegenzusausen. „Vetter Friseur“ behandelt das gleiche Thema, nur - soziologisch gesehen - eine Etage tiefer und mit stärker betonter Erotik. Zugleich ist es das ernsthafteste Stück der Sammlung, der Autor verarbeitet hier auch das Desillusionierende seines eigenen Kriegseinsatzes.
„Wohlbedachte Paarungen“ (Nr. 2) gehört zu den zwei oder drei stärksten Texten im Buch, besonders aufgrund des hier zur Hochform auflaufenden glänzend ironischen Stils. Ein reicher alter Textilfabrikant, kinderlos und sehr krank, unternimmt verschiedene Anläufe, sein Vermögen – die „Substanz“ - über den Tod hinaus zusammenzuhalten. Seine Besessenheit, das angehäufte Kapital auf Dauer vor Zersplitterung zu bewahren, stößt auf viele Widerstände: untüchtige Nachkommen in den Seitenlinien, gesetzliche Einschränkungen im Erbrecht, die sehr unsicheren Zeiten überhaupt …
„Eine gute Ernährung“ (Nr. 4) spielt in den mageren Zeiten des 2. Weltkriegs. Die Inhaberin eines Mädchenpensionats füttert den ohnehin stattlichen Verehrer ihrer allzu biederen Tochter noch weiter heraus – und der vergnügt sich nach der Tafel mit einer sehr emanzipiert freizügigen Malerin.
Das kurze „Nach dem Zapfenstreich“ (Nr. 5) bietet kaum mehr als ein Stimmungsbild lustigen Rekrutenlebens. Dagegen ist „Schwiegervater / Schwiegersohn“ als letzter Text der Sammlung ohne Zweifel auch ihr düsterer Höhepunkt. Die beiden Herren im Titel sind Mussolini und einer seiner Minister, über die ein Veteran des 1. Weltkriegs allerhand Abfälliges denkt, während er sich mit Damen sehr verschiedenen Naturells in einer römischen Pension konfrontiert sieht. Es ist der Winter 1940/41, Italien ist in den 2. Weltkrieg eingetreten und die geplante Eroberung Griechenlands gerät zum Fiasko.
Was macht den spezifischen Reiz der Gaddaschen Erzählkunst aus? Dass und wie sie über die Katastrophen einer bürgerlichen Welt lacht, von der sie doch selbst untrennbar Teil ist.
[*] Diese Rezension schrieb: Arno Abendschön (2011-11-04)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.