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Dan Franck - Montparnasse und Montmartre Künstler und Literaten in Paris zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Buchinformation
Franck, Dan - Montparnasse und Montmartre Künstler und Literaten in Paris zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestellen
Franck, Dan:
Montparnasse und
Montmartre Künstler und
Literaten in Paris zu
Beginn des 20.
Jahrhunderts

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(Bücher frei Haus)

Die Kirche Sacré-Coeur thront auf dem Hügel Montmartre über der Stadt Paris und so schön man dieselbe auch finden mag, erbaut wurde sie doch genau just an der Stelle, an der einst die Commune de Paris ihren Ausgang genommen hatte. Das Ziel war es aber nicht, den Kommunarden ein Denkmal zu errichten, sondern ganz im Gegenteil, ihren Bezwingern, der Reaktion. Die Regierung unter Louis Adolphe Thiers hatte mit Hilfe der Deutschen den Aufstand niedergeschlagen und 30.000 Pariser starben entweder auf den Barrikaden oder nach dem Sieg der Armee durch Massenexekutionen. Sollte man aber die Kirche deswegen aber gleich in die Luft sprengen, wie es die französische Anarchistenzeitung Le Père Peinard 1897 gefordert hatte?

Der Rausch und sein Refugium
Im kollektiven Gedächtnis ist das Viertel rund um die Sacré-Coeur aber ohnehin mit der Bohème und Namen wie Théodore Gericault, Paul Cézanne, Édouard Manet, Vincent van Gogh, Gustave Moreau, Pierre August Renoir oder Edgar Degas verbunden. Dan Franck fügt den allseits bekannten Namen in seiner Publikation „Montparnasse und Montmartre“ noch einige (viele) mehr hinzu, auch wenn sein vorrangiges Interesse vorerst den Malern gilt, folgen auf den mehr als 500 Seiten später dann auch die verrücktesten Literaten. Der Autor erzählt aber auch von anderen illustren Gestalten wie etwa Jules Depaquit, der seinen Lebensunterhalt hauptsächlich mit dem Verkauf von Karikaturen verdiente und als Bürgermeister des Viertels kandidierte, das er zu einer eigenen Republik machen wollte: La Commune libre de Montmartre. „Eine Woche arbeitete er wie besessen, dann feierte er drei Wochen lang.“ Dass er mit diesem Lebensstil wohl nicht der einzige am Montmartre war, zeigen die weiteren Seiten dieser verdichteten Schilderung der künstlerischen Pariser Stadtarchitektur, aber nicht alle waren beim Schnorren immer so geschickt wie Depaquit. Wenn er tatsächlich total abgebrannt war, schnappte er sich kurzerhand seinen Mantel und einen Koffer und postierte sich damit an der Bar eines Cafés. Darauf angesprochen warum er so traurig dreinblicke, sagte er, er müsse verreisen und schwupps!, schon war die erste Flasche geöffnet, selbstverständlich auf Kosten des Cafétiers!

Die behaarten Nackten
Der Werdegang eines anderen berühmten Malers und wie er zu seinem Spitznamen kam wird relativ frivol beschrieben. „Litrillo“ wurde Maurice Utrillo nämlich vor allem deswegen genannt, weil er den Alkohol literweise vertilgte, aber selbstverständlich nur, wenn er nicht gerade arbeitete. Sein Arzt hatte seine Mutter Suzanne Valadon barsch mit den Worten aufgefordert: „Finden Sie eine Beschäftigung für ihn, die ihn vom Wein fernhält!“ Und so wurde Utrillo, der mit 25 schon wie 50 aussah zum Maler, den man heute noch für seine Bilder, nicht aber für seine Exzesse kennt. Acht bis zehn Liter pro Tag seien keine Seltenheit gewesen, zwischendurch auch mal das Kölnisch-Wasser seiner Eltern und wenn gar nichts mehr half, tauschte er einfach Bild gegen Flasche. Immer wieder erwähnt Dan Franck aber auch einen gewissen Pablo Diego José Francisco de Paula Juan Nepomuceno Maria de los Remedios Crispiniano de la Santísima Trinidad Ruiz y Picasso, der zwar weniger soff, dafür aber mehr Frauengeschichten hatte. Als seine Kunsthändlerin einmal einen Vertreter des Gesetzes zu Gast hatte und ihr empfahl diesen ganzen Müll zu beseitigen, fragte sie ihn entrüstet warum sie das denn machen sollte. Und dieser erwiderte: „Diese Nackten… Die sind ja behaart!“

Oscar Wildes Neffe
Eine Nacht mit einer Prostituierten soll damals sogar billiger gewesen sein als ein Hotel, was auch der Neffe Oscar Wildes, Arthur Cravan, weidlich ausgenützt haben dürfte. Der wunderschöne Jüngling, der auf einem Porträtfoto auch in vorliegendem Buch zu bewundern ist, war wohl ebenso spitzzüngig wie sein berühmter Onkel, denn als ihn der große Dichterfürst Guillaume Apollinaire („Le flaneur des deux rives“) beauftragte die Spöttereien gegenüber seiner ehemaligen Geliebten, die Cravan publiziert hatte, wieder zurückzunehmen, schrieb dieser kurzerhand den Text einfach um und so wurde aus „Da ist wieder eine, die es nötig hätte, dass man ihr den Rock lüftet und einen großen … irgendwo reinsteckt“, der Einfachheit halber: „Da ist wieder eine, die es nötig hätte, dass man ihr den Rock lüftet und eine große Astronomie ins Varietétheater irgendwo reinsteckt“. Die Sekundanten Apollinaires wurden dennoch wieder zurückgepfiffen.

König Ubu ohne Ubu
Auch Alfred Jarry war eine jener illustren Gestalten, die zwar jung starben, aber von denen man dennoch auch heute noch spricht. Sein berühmter „König Ubu“ auf den man ihn Zeit seines nur 32-jährigen Lebens reduziert hatte, stammt eigentlich gar nicht von ihm, sondern war eine Gemeinschaftsarbeit mit seinen Mitschülern. Jarry wohnte am Montparnasse – dem anderen berühmten „Butte“ (Hügel) dem sich der Autor widmet – in einer Wohnung, die in der Höhe geteilt worden war, damit sie doppelt so viel Profit abwarf: Der Hausbesitzer hatte sie einfach an kleine Bewohner vermietet. Alfred Jarry schrieb ohnehin im Liegen und wollte er sich die Beine vertreten stieg er eben auf sein Fahrrad. Sehr ungern führte er Diskussionen, was er stets mit Revolverschüssen untermauerte (was ihm im übrigen Picasso mit dem von Jarry persönlich vermachten Revolver gerne nachmachte), wenn er nicht gerade Champagnerflaschen damit öffnete. Er war auch den „herbe sainte“ (Absinth) nicht abgeneigt und mischte seinen Pernod zu einem Teil mit Essig und einem mit Tinte. Solchermaßen das Eis auch bei den Damen brechend (er schoss einmal in einen Spiegel („glace“)), machte er sich auch im Theater besonders beliebt als er mit aufgemalter Krawatte vom dritten Rang runterbrüllte: „Das ist ein Skandal! Wie kann man die ersten Reihen dieses Saals ein Publikum lassen, das alle Anwesenden mit seinen Musikinstrumenten stört?“

Das persönliche Bummbumm
Weitere amüsante Anekdoten liefert der Autor auch zu Lenin und Tzara in Zürich, dem Kubismus und Dadaismus sowie vielen weiteren Episoden aus einer ganz großen Zeit, in der „allein das persönlich `Bummbumm´“ interessierte. Die vorliegende Hommage an das Paris einer versunkenen Epoche ist reich bebildert, einerseits mit zeitgenössischen S/W Stadtaufnahmen von Eugène Atget und Porträts anderer Fotografen, andererseits auch mit farbigen Reproduktionen der berühmtesten Kunstwerke jener Zeit.

Dan Franck
Montparnasse und Montmartre
Künstler und Literaten in Paris zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Aus dem Französischen von Petra van Cronenburg
568 Seiten, mit 174 s/w- und 45 farbigen Abbildungen,
Hardcover mit Schutzumschlag, 20,5 x 15 cm
ISBN: 978-3-86964-034-1
Preis: 28,00 €
Parthas Berlin

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2015-03-10)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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