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Marcello Fois - Scheol
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Fois, Marcello:
Scheol

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(Bücher frei Haus)

Die italienische Erstausgabe des Krimis um eine Mordermittlung des jüdischen Kommissars Ruben Massei in Rom kam im Jahr 2004 heraus. Das jüdische Titelwort „Scheol“, dem Laien entgegen sonstiger Gepflogenheiten der Verlagsbranche durch keinen deutschen Untertitel bereits auf dem Umschlag nahegebracht, steht für das Reich der Toten. Das Buch stellt im Werk des mittlerweile mit seiner Serie um den Avvocato Bustiano zu Bekanntheit gelangten, in Bologna lebenden Sarden Fois eine Ausnahme und ein Experiment dar.

Die im Buch erzählten Ereignisse um den Überfall einer asozialen Neofaschistengruppe auf die Villa eines reichen alten Juden, Folterung und Tod von dessen Ehefrau und anschließendes spurloses Verschwinden von sowohl Tätern wie auch Opfer, tragen sich im Jahr 1993 zu. Fois benötigt dieses (auch seinerzeit schon vergangene) Jahr, denn die 13 Kapitel bestehen jeweils aus zwei Teilen, erst der Gegenwart 1993, danach stets einem Flashback zu einer Art Parallelgeschichte aus dem Jahr 1943. Damals hatte sich im selben Haus eine bürgerliche jüdische Familie mit mehreren Kindern versteckt gehalten, im Keller auf ihren Schlepper gewartet, der sie vor der Preisgabe an die Deutschen und der Ermordung im KZ bewahren sollte. Für so einen Plot benötigt Fois die - zumindest denkbare - Möglichkeit, eines der Kinder hätte überlebt - oder auch, dass der Jugendliche, der sie an die Faschisten verraten hat, immer noch am Leben ist und als alter Mann wieder hinter der neuen Unmenschlichkeit steht.

Ein „Holocaust“-Mord-Whodunit-Krimi dürfte nicht jedermanns Sache sein. Wenig verwunderlich, wenn der Verlag den Hinweis auf die Welt des Judentums auf dem Buchumschlag verbirgt und stattdessen mit Grün, Weiß und Rot die bei deutschen Krimilesern geschätzte Italinità- bzw. Commissario-Seligkeit zu wecken sucht. Schade nur, dass Commissario Massei ein eher farbloser Charakter ist, den vor allem zwei Züge kennzeichnen: sein Judentum, vor dem er sich viele Jahre hat davonstehlen wollen, dann sein Quertreiber-Status. Behördenkonsens kann ihn nicht davon abhalten, für belanglos erklärten Spuren noch einmal nachzugehen.

Das originäre Spiel, meines Erachtens die Sache, an der Fois‘ Buch scheitert, ist dies: Mit den Zeitsprüngen 1993/1943 setzt der Autor von Kapitel zu Kapitel immer mehr auf Verunsicherung des Lesers, ob es nicht sein könnte, dass hinter dem Mord Geister stecken. Ein Wiedergänger-Krimi? Sind die Toten von 1943 vielleicht anwesend, im Scheol, im Reich der Toten? Ist aus der Mussolini-Zeit ein gestorbener Mörder zurückgekommen und führt neuen Krieg gegen Juden? Wird die Polizei scheitern, weil sie einen Dämon jagt? Oder ist alles Spiegelung? Eine Schreckensfabel, die sich immer mal wiederholen muss, solange es unter Menschen das Böse gibt?

Zitat:

Innerhalb weniger Sekunden herrschte erstickende Hitze. Ruben versuchte wie eine fette, lächerliche Kanalratte wegzurobben, in den Teil des Raumes, der noch nicht brannte. Er merkte, dass er zitterte, vielleicht vor Anstrengung, vielleicht auch aus Todesangst. Als er den Jungen neben sich bemerkte, als er seine eisigen Hände fühlte, die ihm die Stricke an Hand- und Fußgelenken lösten, dachte er, er sei schon tot. Er dachte, dass es gar nicht so schlimm war zu sterben.

Marcello Fois müsste mindestens Stephen King sein und seinen Roman auf 600 Seiten ausspannen (statt 180). So, wie sie hier sind, stören die meisten Rückblenden eher. Man will doch vordringlich lesen, wie das Verbrechen aus der Gegenwart enträtselt wird! Man hatte das Buch nicht erstanden, um ein weiteres Mal über Bösartigkeit und Gleichgültigkeit von „Normalbevölkerung“ belehrt zu werden. Politisch hyperkorrekt kommt einem das vor, weder besonders neu noch unfassbar.

Zudem ist Fois‘ Schreibweise zu starr, zu bewegungslos. Da reiht sich ein Amtsstuben-Zwiegespräch, bei dem jeweils Statements, Einschätzungen, Deklarationen abgegeben werden, ans andere. Äußere Welt und Action bleiben auf der Strecke. Dramatik scheint Fois durch den ewigen Wechsel der Zeitschichten generieren zu wollen.

Es kommt zum Ende hin dann doch noch ein Twist, den wohl niemand kommen sah. Fois kriegt die Kurve, seinen Krimi aus dem Reich der Geister zurück und zu handfesten modernen Motiven des Verbrechens zu führen. Sein Unterfangen, das ausgelutschte Kommissar-Mordfall-Genre durchzuschütteln, ist einigermaßen risikoreich. Das gilt es anzuerkennen. Doch es kann nicht gemeldet werden, dass es geglückt wäre.

[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2017-01-25)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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