„Man muß zum Herbst woanders sein, in Wien, die Ringstraße sehn, vom goldnen Laub übersäht, Häuser wie Paläste, Straßen, gerade ausgerichtet und geputzt zum Empfang vornehmer Gäste“, schrieb Joseph Roth vor gut 100 Jahren und kein Zitat würde wohl - damals wie heute - besser zum 150. Jubiläum des Baubeginns der Wiener Ringstraße passen, wie diesses. Die vorliegende Publikation, die ungefähr das Format eines Vinylcovers hat und doch bedeutend schwerer wiegt, vereint zwischen seinen Buchdeckeln nicht nur sehr viele ungewöhnliche Ansichten der Ringstraße auf alten und zeitgenössischen Fotografien, sondern auch sehr viele Texte, die ihre Bewunderung über die „Haupstraße des 19. Jahrhhunderts“ ausdrücken, darunter Beiträge von Monika Faber, Jochen Martz, Siegfried Mattl, Andreas Nierhaus, Eva-Maria Orosz und Frederic Morton.
Wien: prächtige Stadt und schöne„Palläst“
Am 20. Dezember 1857 verfügte Kaiser Franz Joseph I. die „Regulirung und Verschönerung Meiner Residenz- und Reichshauptstadt“ und zu diesem Zwecke die Niederreißung der alten Stadtmauer und ihrer Verteidigungswälle und schon acht Jahre später eröffnete er - am 1. Mai 1865 - feierlich die neue Prachtstraße, ohne die man sich heute Wien gar nicht mehr denken könnte, befinden sich doch Oper und Burgtheater, Parlament, Rathaus und Universität bis zum Kaiserforum mit den Hofmuseen an der Stelle des niedergerissenen Verteidigungsringes. Mit dem „Ensemble des Historismus“ wurde Wien endlich zur Metropole, auch wenn manche behaupten, es hätte noch weitere 150 Jahre gedauert, bis dies wirklich der Fall war. Der Ring wurde damals jedenfalls „zum Spiegelbild des neuen Wien, das hier ein großartiges, permanentes Spektakel inszenierte“, so der Herausgeber Alfred Fogarassy im Vorwort. Bis in die Mitte des 19. Jahrhundert war Wien vor allem Festung gewesen und mit dem Glacis vor den Stadtmauern militärisches Exerzierfeld. Die zwei Türkenbelagerungen von 1529 und 1683 saßen lange in den Knochen und während in Paris schon unter Louis XIV. die Wälle eingerissen wurden, passierte dies in Wien quasi (aufgerundete) 100 Jahre später. Lady Montagu schrieb 1716 über Wien: „Hielte es der Kaiser für angebracht, die Stadttore niederlagen zu lassen und die Vorstädte mit Wien zu vereinigen, so hätte er eine der größten und schönsten Hauptstädte Europas“. Auch andere Zeitgenossen wunderten sich über Wiens Verschlossenheit: „Sollte es erlaubt seyn an diese Orth Häuser zu bauen, so glaube ich, selbe würden in etlich Jahren voll der schönsten Palläst und Wien aldann ihresgleichen in der Welt nicht haben“, vermutete noch 1741 Anselm Desing. Die Angst vor dem vorindustriellen Proletariat war einfach zu groß, interpretiert Andreas Nierhaus die damalige Sachlage und so gab es vorerst eben keine prächtige Stadt und schönen „Palläst“ am Ring.
„Haupstraße des 19. Jahrhhunderts“
Den eigentlichen ersten Anstoß könnte man - wie bei so vielen anderen Dingen - auch hier Napoleon zuschreiben, denn er war es, der erstmals die Mauern sprengen ließ und damit Volksgarten, Burggarten und den sog. Heldenplatz freischoß. Nierhaus nennt als Vordenker des Projektes Christian Ludwig Förster, der in einer Stadterweiterung auch eine Chance zur Senkung der Mietpreise sah. Auf die Revolution von 1848 folgte das Arsenal und die Rossauer Kaserne am Donaukanal und die dann wieder abgerissene Franz Joseph Kaserne. Immer noch regierte die Angst vor dem „Pöbel“, könnte man vermuten. Nierhaus bemerkt in seinen interessanten Ausführungen fürderhin, dass die Hofburg immer mehr ins Zentrum der neuen Stadt rückte und der Stephansdom deutlich nach Osten, außerdem sieht er im Ring auch eher ein Sechseck - also eine wehrhafte Kantigkeit - die so durchaus erhalten blieb. Wien hätte es zwar nicht zur „Hauptstadt des 19.Jahrhunderts“ gebracht wie etwa Paris, dafür mit der Ringstraße aber immerhin zur „Hauptstraße des 19.Jahrhunderts“.
Alfred Fogarassy (Hrsg.)
Die Wiener Ringstraße
Texte von Monika Faber, Jochen Martz, Siegfried Mattl, Frederic Morton, Andreas Nierhaus, Eva-Maria Orosz, Fotografien von Nora Schoeller, Gestaltung von Maria-Anna Friedl
2014. ca. 224 Seiten, ca. 200 Abb. 29,00 x 32,00 cm, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-7757-3772-2
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2014-11-30)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.