Schauspielerin, Erfinderin, Diva
Kenneth Anger’s „Hollywood Babylon“, dem cinephilen Literaturklassiker über die Abgründe der Traumfabrik, ist sie gerade einmal zwei (namentliche) Erwähnungen wert, dabei hätte sie das ganze 300 Seiten starke Buch allein mit ihren Skandalen füllen können: Hedy Lamarr, geborene Hedwig Maria Kiesler. Die „strahlende Prinzessin aus dem Wienerwald“ (Förster) war aber mehr als nur eine Skandalnudel oder einfacher Hollywood-Filmstar. Quasi „im Vorbeispazier‘n“ nutzte sie das in ihrer ersten Ehe erworbene militärische Knowhow und erfindet, gemeinsam mit dem Komponisten George Antheil, ein Fernsteuerungssystem für Torpedos, das auch unter dem Schlagwort „frequency hopping“ bekannt wurde und die Voraussetzungen für die komplette heutige moderne kabellose Kommunikation schuf. In jedem Mobiltelefon, Bluetooth und WLAN-Netzwerk steckt der Pioniergeist Hedy Lamarrs, die sich übrigens zeitlebens von Hollywood intellektuell unterfordert gefühlt habe, wie ihr Sohn Anthony Loder in der beim Hamburger Verleger Ankerherz erschienen autorisierten Biographie bereitwilig erzählt.
„Die schönsten Frau der Welt“
Das „Wireless Communication System“ das mit Hilfe permanenter Frequenzwechsel zwischen Torpedo und Steuerung dafür sorgt, dass das feindliche Radar die Rakete nicht erkennt, und sie so sicher ins Ziel bringt, sollte als Kriegswaffe gegen die Nazis, die die Lamarr als Kind jüdischer Eltern herzlich hasste, angewendet werden. Hedys Mutter war kurz vor dem „Anschluss“ Österreichs nach London geflohen und saß dort fest und Hedy Lamarr wollte selbst etwas gegen Hitlers drohende Weltherrschaft unternehmen und hatte bei den Abendessen ihres ersten Mannes Friedrich Mandl (der erste von sechs Ehemännern) mit den Größen der Nazi-Rüstungsindustrie viel gelernt. Allerdings profitierte sie von ihrer Erfindung gar nicht, da die US-Navy sie unter Verschluss nahm. Die Tantiemen für das Patent würden sich wohl in schwindelerregenden Höhen bewegen, die die Lamarr dann andersweitig erklomm: in Hollywood. Hedy Lamarr war also mit Bestimmtheit nicht bloß eine weitere glamouröse nymphomanische Amphetamin-Toxikomanin aus Hollywood, denn sie war überdurchschnittlich intelligent. Oder doch?
„Glamourös sein ist einfach“
Ihre Nackt- und Sexszenen sind wohl ebenso legendär wie die Reihe ihrer Liebhaber. Als junge Jüdin aus gutem Hause erlernte sie die Schauspielkunst in Berlin der frühen Dreißiger und wird dort zum Protegé des Star-Regisseurs Max Reinhardt, von dem übrigens auch das Zitat von der "schönsten Frau der Welt" stammen soll. Im zarten Alter von 17 Jahren drehte sie in einer tschechoslowakischen Produktion ihren ersten Film. „Ekstase“ (R: Gustav Machatý, 1933) war nicht nur der Filmtitel, sondern auch das Programm. Der Film - der trotz ihrer etwas pummeligen Bauernfigur und ihrer doch eher bescheidenen Rolle – ein Hit wird, entsagt sie vorerst dem Film, und heiratet Friedrich Mandl, einen jüdischen Waffenfabrikanten und Austrofaschisten, der sich bald als so besitzergreifend entpuppt, dass er ihr das Schauspielen sowie alles andere, das Spaß macht, kurzerhand verbietet und sie sogar zu Hause einsperren habe lassen. Doch bald kann sie über Paris, London und New York nach Los Angeles fliehen, wo sie ohne ein Wort Englisch zu beherrschen eine beispiellose Karriere hinlegt. Erst jetzt wird aus der Hedwig die Hedy Lamarr, Hollywoods populärstes Cover-Girl, Trendsetterin, Modeikone, Dauerthema der Klatschspalten und sie spielt in Kassenschlagern an der Seite von Spencer Tracy und Clark Gable, Charles Boyer und James Stewart. „Glamourös sein ist einfach,“ soll sie einmal kokett gesagt haben, „Alles was man tun muss, ist stillstehen und dumm gucken.“
…with a litle help from a friend: Dr. Feelgood & Co
Einige Anekdoten, die Hedy Lamarrs Sohn erzählt sind so unglaublich, dass sie zu gut sind, um erfunden worden zu sein. Etwa wie seine Mutter die Rolle als Ilsa Lund in „Casablanca“ ablehnte, weil ihr das Drehbuch nicht gefallen hatte. Sie sei aber auch Stammgast beim Amphetamin-Profi Max Jacobson alias „Miracle Max“, wie Förster schreibt, gewesen, ein Arzt der so manche illustre Kundschaft in seiner Praxis betreut hatte, darunter etwa John F. Kennedy, Marlene Dietrich, Anthony Quinn, Tennessee Williams, Truman Capote, Maya Deren, Eddie Fisher, Mickey Mantle, Cecil B. DeMille, Alan Jay Lerner, Yul Brynner, Nelson Rockefeller, and Zero Mostel. Hedy befand sich bei „Dr Feelgood“- sein eigentlicher Spitzname also in bester Gesellschaft. Jacobson soll zum Beispiel für seinen bekannten „miracle tissue regenerator“ eine Melange aus Amphetaminen, Vitaminen, Painkillern und menschlicher Placenta (!) benutzt haben. Damit ging es dann wohl auch der zunehmend verfallenden Schönheit wieder einigermaßen „besser“. Eine andere Geschichte erzählt, wie ein alter Herr mit Hedy am Pool gesessen sei, ihr Porträt auf eine Serviette zeichnete und der kleine Anthony ihm zu verstehen gibt, dass das wohl sogar ein Kind besser hingekriegt hätte. Das Papier mit der Original-Pablo-Picasso-Zeichnung wanderte allerdings im Müll, statt in Anthony’s Tagebuch.
Hedy Lamarr, die vergessene Göttin
Wer jetzt glaubt diese Biographie spare die schlechten Seiten der Diva aus, der täuscht sich. Ihr Sohn erzählt nämlich auch von Lamarrs Begegnungen mit Louis B. Mayer und Charles Boyer, den Affären mit Charlie Chaplin und Howard Hughes, ihrem nymphomanische Verhältnis zum Sex, ihrem unbändigen Ehrgeiz und ihren zahllosen Schönheitsoperationen und den Ladendiebstählen. Seinen Vater, den Schauspieler John Loder, hat Anthony kaum gekannt. Aber über seine Mutter soll der Komponist George Antheil gesagt haben: „Hedy ist sehr, sehr schlau. Verglichen mit den meisten anderen Hollywood-Stars ist sie geradezu ein intellektueller Gigant." Anthony selbst fasst ihr Leben abschließend so zusammen: „Meine Mutter verfing sich in einem Netz aus Oberflächlichkeiten. Als sie nicht mehr auf ihr Rollenprofil der verführerischen Brünetten passte, ließen die Puppenspieler bei MGM sie fallen.“ Bislang unveröffentlichte Familienfotos, Briefe und weitere Anekdoten erzählt von einem, der sie wohl am besten kannte, ihrem Sohn, zeichnen diese Lamarr-Biographie unter anderen ihrer Art aus., besonders natürlich gegenüber „Ekstase und ich“.
Jochen Förster & Anthony Loder
Hedy Darling.
Das filmreife Leben der Hedy Lamarr, erzählt von ihrem Sohn. Ankerherz Verlag, 29,90 Euro
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2013-03-20)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.