Dass die 1966 geborenen Eheleute Förster und Kreuz von ihrem Werdegang her Managerin bzw. Unternehmensberaterin sind (Förster arbeitete für Rewe und Accenture, bevor sie sich als Coaching-Vortragsreisende selbstständig machte) bzw., Peter Kreuz, promovierter Ökonom an der Universität Wien, schien die Erwartung zu stützen. Jedoch, muss man hier wissen, es ist nicht Ökonomie, vielmehr „Sophismus“, was sie da treiben.
Das Wort Sophist hatte quer durch alle Zeiten einen schlechten Klang, weil Platon und Aristoteles den Sophismus kritisiert haben. Sophisten sind zwar nie wie Platon und Aristoteles gewesen, Giganten des Geistes, aber patente Kerle waren sie schon auch. Sie reisten umher, gaben einzelnen, privaten Kunden Anleitungen zu konkreten Problemstellungen. „Wie habe ich mehr Erfolg als andere?“ steht meist hinter allem. „Wie bringen ich eine Sache vor Gericht durch?“ „Wie lerne ich in 30 Wochen Griechisch?“ „Wie bewältige ich eine Partykonversation?“ „Wie bezaubere ich die Frauen?“ „Wie trinke ich die besten Weine der Welt?“ Derartig Vorteilhaftes.
Da sie ständig unterwegs waren, konnten sie ihr an sich nicht sehr breites, vielmehr überschaubares, oft nicht mal originelles, eher clever kompiliertes Wissen ständig „neu“ an wieder andere Abnehmer verkaufen. Welche nicht zu den Ärmsten zählten. (Inzwischen hat man erfahren, wie kostbar ein einzelner Vortrag für die Stadtwerke Bochum sein kann.) Im Römischen Reich wuchs den oftmals griechischen Weisen („Griechlein“) eine besondere Funktion zu beim allgemeinen Rückzug in die Innerlichkeit, den die formierte, veränderungsscheue Elitengesellschaft der Kaiserzeit mit sich brachte. Die politischen Funktionen und Spielräume sogar der Mächtigen waren eingeschränkt, man verlegte sich somit auf Innerlichkeit, Privates, Kultur und Geschmack - und die Religion. Der Weg zum Glück? Einer kennt sich da besser aus. „Ruf den Persönlichen Trainer an!“
Vor der Entscheidung für ein Buch wäre es zuweilen hilfreicher, nicht die Masse freundlicher Kritiker- und Leserstimmen zu googeln, sondern gleich die Hardware Buch zur Hand zu nehmen und einige Features zu checken. Zahlen, Statistiken, Schaubilder? Nichts davon in diesem Buch. Anmerkungen unten auf der Seite oder hinten? Keine. Literaturangaben: gute dreißig Titel, darunter Joachim Gauck, Joschka Fischer, der Pädagoge und Freizeitforscher Horst Opaschowski, der irische Wirtschaftsphilosoph Charles Handy (Shamrock-Bewegung, föderale Subsidiaritätsprinzipien bei Unternehmensführung). Und die erzählerischen Zwischenspiele im Textablauf fallen ins Auge. Porträts von Vorbild-Menschen, die das Autorenteam begeistern konnten. Frank O. Gehry (sein blitzendes Bilbao-Museum), Bruce Springsteen (stundenlanges Live-Powern als Über-Sechzigjähriger), Paulo Coelho (eines Tages hielt er es nicht mehr aus, einen bewusstlosen Menschen in Rios Straßen liegen zu sehen, alle gingen vorbei, er setzte einen Polizisten so stark unter Druck, bis dieser Hilfe schaffte), Joachim Gauck (der sich seinen Söhnen verweigerte, als sie die Ausreisegenehmigung in den Westen bekommen hatten, er müsse bei den Menschen von Rostock bleiben und für eine Veränderung im Innern arbeiten).
Immer schon lag die Überzeugungskraft von Sophisten nicht so sehr darin, erschreckend Gewagtes im Ratgeberköfferchen zu haben. Eigentlich ging es eher darum, so „zu philosophieren“, bis der Zuhörer etwas entdeckte in sich selbst, was er lange heimlich gespürt, sich aber nie in die Hand zu nehmen getraut hatte. Man hasst und verspottet die Sophisten nicht, man liebt sie für die seelisch befreiende Power, die sie einflößen. Sie sagen laut, was alle mal hören wollten: „Hört auf zu arbeiten! - Eine Anstiftung, das zu tun, was wirklich zählt“.
Wie das? Alle sollen gar nichts mehr machen und stattdessen Pornos gucken und Cocktails saufen? „Im Prinzip ja“, antwortet Radio Jerewan. Kreuz und Förster ermuntern uns, nach dem Künstlertyp in uns selbst zu graben. Ein Künstler arbeitet doch schließlich auch was. Aber mit Freude und Genuss und aus freiem Entschluss. Dabei ist Kunst-Arbeiten oft gar nicht easy oder sexy, wie man meinen will. Zehntausend Federstriche über Kreuz für den einen tiefen Schatten in der Rembrandt-Grafik, er musste jeden selbst stricheln! Den Künstler treibt der eigene Motor, seine persönliche Vision. Er will etwas real vor sich haben, was er sich innerlich als sinntragend vorgestellt hat. Wir werden von Förster und Kreuz dazu animiert, uns eine Arbeit zu suchen, bzw. unsere jetzige so zu verändern, dass wir diese Beseeltheit erleben.
Der Tätige befinde sich, sagen die Coaches Peter Kreuz und Anja Förster (gefeiert mit einem ganzseitigem Artikel in Bulgariens bedeutendster Wirtschaftszeitung, sie rücken das ein ins Buch), in einer Matrix aus vier Feldern. Erstes Feld: Sachen erledigen, die keiner respektiert und die uns nach und nach zerrütten. Null Wert für mich, null Respekt bei anderen; gemacht muss es doch werden. Förster und Kreuz nennen es „miese Arbeit“.
Zweites Feld: Jobs, in denen wir angenehm gut honoriert werden, weil sie von wichtigen anderen Menschen respektiert werden. „Gute Arbeit“, nennen unsere Referenten das. Aber, sagen sie dazu, „gute Arbeit ist letztlich dann schlechte Arbeit“! In den guten Jobs reproduziert man Erfolgsmuster, die andere Leute einem vorgegeben haben (eine Art McDonald’s-Weltformel). „Gute Arbeit“ steuert uns mit ihren immergleichen blöden Fragen: Wie schnell kannst du das hinkriegen? Um wie viel billiger kannst du es machen? Wie haben das bisher die gemacht, die den größten Erfolg hatten? Was, denkst du, ist es, was die Geldgeber von dir sehen möchten? Und „gute Arbeit“ macht sich irgendwann selber entbehrlich. Sie ist eine Reise in die Selbstvernichtung. Zeiten, Abnehmererwartungen, Märkte, alles ändert sich weiter. Nur jene, die heute nicht immer brav die Fragen der „guten Arbeit“ beantworten, werden morgen wichtig sein.
Zitat:
Das Leben im Außen und für das Außen ist das eigentliche Problem. Wenn wir also nach einem „guten“ Lebenszweck suchen, dann vermuten wir, dass er mehr mit dem Inneren des Menschen zu tun hat, mit Seele und Geist des Menschen, mit seiner Persönlichkeit, seinen Wünschen jenseits des Materiellen.
Ein solches Angebot ist im Supermarkt des heutigen Lebens aber nur schwer zu finden. Die Lebenswege und Tätigkeiten, die dort angeboten werden, sind überwiegend mit Äußerlichkeiten verbunden. Und sie sind zahlreich und ziemlich beliebig. Darum „verharren wir entweder in Unschlüssigkeit oder beschreiten einen vertrauten Weg, anstatt Fragen zu stellen, zu suchen und uns die Welt zunutze zu machen“, beschreibt es Charles Handy in seiner großartigen Biografie „Ich und andere Nebensächlichkeiten“.
Das Leben im Außen und für das Außen ist das eigentliche Problem. Wenn wir also nach einem „guten“ Lebenszweck suchen, dann vermuten wir, dass er mehr mit dem Inneren des Menschen zu tun hat, mit Seele und Geist des Menschen, mit seiner Persönlichkeit, seinen Wünschen jenseits des Materiellen.
Ein solches Angebot ist im Supermarkt des heutigen Lebens aber nur schwer zu finden. Die Lebenswege und Tätigkeiten, die dort angeboten werden, sind überwiegend mit Äußerlichkeiten verbunden. Und sie sind zahlreich und ziemlich beliebig. Darum „verharren wir entweder in Unschlüssigkeit oder beschreiten einen vertrauten Weg, anstatt Fragen zu stellen, zu suchen und uns die Welt zunutze zu machen“, beschreibt es Charles Handy in seiner großartigen Biografie „Ich und andere Nebensächlichkeiten“.
Drittes Feld der Matrix: Wir könnten hinschmeißen und aussteigen. Sandalenmönch in Goa werden, biologische Heilsäfte in Christchurch verticken. Dass bei derartiger Alternativ-Selbstständigkeit PR-Dilemmas den wirtschaftlichen Erfolg torpedieren könnten, erwähnen Kreuz und Förster nicht mal. (Vielleicht würde es in Berlin einen tollen Markt für unseren neuseeländischen Biosaft geben, aber die Menschen dort hören nie von ihm reden und können unser Produkt nicht probieren.) Kreuz und Förster geht es an dieser Stelle um die psychische Fragilität des „eigenen Dings“. Man hat die Nase voll, man macht sein eigenes Ding, man macht es wirklich gut, man findet Freunde und Abnehmer. Aber es kommt nie die große Reputation bei der Masse, es zündet keine Explosion, man wurschtelt so weiter. Man vertrocknet irgendwann am nebensächlichen Frust, lässt es eines Tages wieder sein, ausgepowert. Jene Art Helden, wie die Autoren sie zeigten, sind so „ihr Ding“ nie angegangen, haben für sich eine Bescheidenheit des einsamen Bastlers nie hingenommen. „Genie ohne Brot“ ist nicht die Alternative, sagen die beiden Wirtschaftsberater.
Wie sieht das offene vierte Feld unserer Matrix aus? Etwas machen, was Sinn hat für einen selbst, was den inneren Motor der Begeisterung und Opferbereitschaft anwirft, was aber auch etwas ist, das eine nennenswerte Zahl ganz unbekannter Menschen für relevant und respektabel ansehen kann. Springsteen soll gesagt haben: „Ich bin wohl ziemlich gut darin, mir Songs einfallen zu lassen, in denen viele Menschen eine spezielle Bedeutung für ihr eigenes Dasein sehen.“
„Das Glitzern in ihren Augen“, diese Wendung taucht immer wieder auf in dem wie eine gewitzte Animateur-Show gestalteten Buch. Arbeit, wie die meisten von uns sie heute noch kennen, ist eine, die der Systematik der tayloristischen Fabrik folgt. Auch bei Behörden, Internetreisebüros, Redaktionen werde im Wesentlichen nach dem Schrittezerlegungsprinzip operiert. Man beobachtet die Vorgänge längere Zeit, bis man weiß, was zielführend ist. Man zerlegt den Gesamtprozess in lauter kleine Einzelaufgaben, die jegliche für sich, jetzt selbst ein Idiot erledigen könnte, Tag für Tag spielen die Angestellten das Benutzerhandbuch nach. Das Glitzern in den Augen: war einmal.
Frank Gehry, als er einen Auftraggeber der früheren Industriebauten im Privathaus zu Gast hat, wird gefragt: „Aber, warum machen Sie noch die normalen Sachen, wenn Sie das hier können?“ Sofort soll Gehry seine Angestellten entlassen und von vorn begonnen haben. Es dauerte immer noch zehn Jahre voller Maschendraht, Wellblech, tanzenden Wänden, bis die Menge gemerkt hatte, dass sie sein Markenzeichen-Bauen wollte, eine Industriestadt wie Bilbao jedenfalls.
Hier mogeln Anja Förster und Peter Kreuz ein bisschen. Nein, nein, keiner von uns Normalfantasiebegabten soll dem Chef die Wahrheit sagen und ins Spider-Man-Kostüm wechseln! Es würde genügen, sich längerfristig und mit Bedacht aus allen „Miese-Arbeit-“ wie eben auch „Gute-Arbeit“-Feldern der eigenen Firma herauszuschleichen, immer mehr Zeit und Energie ins Feld 4 zu verschieben, hinter dem man dann auch steht, für das man zu darben bereit ist, von dem man glaubt, dass viele Menschen es eines Tages achten und lieben werden.
Die Selbstertüchtigungs- und Selbstausbeutungs-Denke des Neoliberalismus fordern diese Sophisten mitnichten heraus, wie unverschämt der Titel ihres Buches sich lesen mag. Eigenverantwortung, Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen, Privatisierung sozialer Sicherheit, dem widerspricht ihr „Sei-dein-eigener-Künstler“-Glücksprogramm an keiner Stelle.
(„O-jaah, danke für den Applaus, es war ein herrlicher Abend, ihr seid so ein Super-Publikum!“)
[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2016-08-01)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.