„Geht hin mein Geist zu großen Ehren unseres Stammes, zu unsrem Ruhmesalter von Byzanz.“, schrieb der griechische Dichter Konstantinos Kavafis 1912 und wer den griechischen Aufstand gegen die Türken von 1821 und die spätere Megali Idea kennt, wird sich nicht mehr fragen, warum deren Ziel eigentlich die Rückeroberung Istanbuls („stin polin“ ist eigentlich Griechisch für „downtown“) war. Die Griechische Revolution gegen das Osmanische Reich, die am 25. März 1821 begann, fassten ihre Anhänger unter dem Ausdruck “Megali Idea“ (griechisch Μεγάλη Ιδέα, große Idee) zusammen und definierten damit gleich die Ziele der griechischen Außenpolitik bis ins 20. Jahrhundert mit: sie strebten die Vereinigung aller Teile der griechischen Welt an und sahen den größten Teil der Balkanländer, Kreta, Rhodos, Thessaloniki, Zypern, die Ägäischen Inseln, Thrakien und Konstantinopel als zu befreiende Gebiete an. Man weiß eben viel zu wenig über das so genannte „oströmische Reich“ an dessen Bezeichnung einzig die Himmelsrichtung stimmt, denn tatsächlich war es von Rom aus gesehen im Osten, jedoch keinesfalls „römisch“, sondern eben griechisch, in seiner Sprache, in seiner Kultur und auch in seiner Herrschaftsform der Repräsentation und seiner Religion.
L`art byzantin – art europèen
„Byzanz war für lange Zeit der Standard für gehobene Kultur, an dem sich alle umliegenden Herrschaften zu messen hatten“, heißt es im Vorwort zu vorliegendem Ausstellungskatalog. Der Verdienst von Byzanz für die europäische Kultur sei nicht hoch genug einzuschätzen und müsse endlich gewürdigt werden: Byzanz habe lange Zeit die arabische Expansion blockiert und so die Fortentwicklung des mittelalterlichen Abendlandes gewährleistet. Die Christianisierung ganz Südost- und Osteuropas, der Balkanländer, der Ukraine und Russlands gewährleistet, ja sogar die kyrillische Schrift sei ein Verdienst byzantinischer Missionare. Auch das Rechtssystem Europas beruhe auf dem Corpus iuris civilis von Byzanz. Die italienische Renaissance bezog wesentliche Impulse aus der byzantinischen Kultur. Und endlich sollte man von diesem Byzanz sprechen, über das man so wenig weiß, obwohl es so wesentlich für die Entwicklung Westeuropas und Europas als Ganzes war. Die Ausstellung „Byzanz – Pracht und Alltag“ zeigt ein unterbewertetes Europa, das europäischer nicht sein könnte. Der vorliegende Prachtband aus dem Hause Hirmer gibt einen Vorausblick auf die Bonner Ausstellung und sollte am besten schon vor dem Besuch konsultiert und studiert werden.
Das Fortleben der griechisch-byzantinischen Kultur unter Mehmet
Nach einer mehr als zweimonatigen Belagerung fiel Konstantinopel am 29. Mai 1453. Das fälschlicherweise als „Oströmisches Reich“ titulierte Staatswesen bestand zu diesem Zeitpunkt eigentlich nur mehr aus der die Stadtmauern umgebenden Innenstadt, zuvor hatte es jahrhundertelang mehr als die Hälfte Europas beherrscht. Das „Tausendjährige Reich“ bestand nämlich noch ein Millenium über das Weströmische Reich hinaus, es kann aber im Gegensatz dazu nur unter Umständen als „römisch“ bezeichnet werden, war seine Kultur doch hauptsächlich griechisch-christlich geprägt. Der Sultan Mehmet II., der Eroberer übernahm eine zwar an Bauwerken und Geschichte reiche Stadt, die Bevölkerung soll damals jedoch auf 50.000 zusammengeschrumpft und auch ziemlich verwahrlost gewesen sein. Als erste „Instandsetzungsmaßnahme“ musste die Stadt also von den Osmanen besiedelt werden, dabei soll der neue Tyrann die Christen und Juden zuvorkommend behandelt haben. Auch den Patriarchen selbst habe er gut behandelt und ließ sich von ihm über das Christentum belehren. Neslihan Asutay-Effenberger schreibt in ihrem Beitrag von den „humanistischen Interessen“ des Sultans und auch Peter Schreiner würdigt das Verdienst Mehmets für das Fortleben der griechisch-byzantinischen Kultur. Es sei ein Mythos anzunehmen, die Plünderung Konstantinopels durch die Osmanen habe das Ende der griechisch-byzantinischen Kultur bedeutet, vielmehr: „Die Voraussetzungen für die Weiterexistenz einer christlichen Kultur im osmanischen Reich in hohem Umfang sind der Persönlichkeit Mehmets zu verdanken“. Das bestätigt auch Dimitris Apostolopoulos in seinem Beitrag „Das Weiterleben von Byzanz nach dem Fall von Konstantinopel“. Das Patriarchat von Konstantinopel habe eine relativ große Verwaltungsautonomie im Osmanischen Reich gehabt und zudem eine breit gefächerte gerichtliche Zuständigkeit. Die Kirchenführung konnte eine von der staatlichen Autorität unabhängige exekutive Gewalt etablieren.
Byzanz als Begriff, Realität und Fiktion
„Byzanz“ war ein christliches Reich mit „überwiegend griechischsprachiger Bevölkerung, di in ihrer Mehrheit keine Verbindung zur antiken Bildungs- und Kulturtradition besaß“, schreibt der international bekannte Byzantinist Peter Schreiner in seinem Beitrag „Byzanz als Begriff, Realität und Fiktion“. Diese sei nur in den elitären Kreisen Konstantinopels und einiger großer Städte wie Alexandria oder Antiocheia noch bewahrt und kultiviert worden, das „neue“ Reich, Ostrom, Konstantinopel oder eben Byzanz, konnte vom römisch-lateinischen Westen immer weniger verstanden werden: „Die Schrift war nicht lesbar, die Sprache unverständlich, der Glaube und seine Ausdrucksformen in der Liturgie waren anders, und die unter dem Patriarchat von Konstantinopel stehende Kirche erschien in ihrer Verknüpfung mit dem Staat fremdartig und inkakzeptabel, erklärt Schreiner weiter. Byzanz wurde zwar 324 als Konstantinopel gegründet und fiel 1453 durch den Ansturm der Osmanen, bei der genaueren Analyse ist es jedoch schwer den eigentlichen Beginn des Byzantinischen Reiches auszumachen. Eigentlich sei erst mit dem Verlust Italiens an die Langobarden (568) und weiteren Verlusten bis 634 (Ägypten, Palästina, Syrien etc) von einem Neubeginn zu sprechen, „Rhomaioi“, also Romani, Römer war es bis dahin aber sicherlich noch. Die Synthese der hellenistischen Kultur und der christlichem Religion mit der römischen Staatsform könnte als byzantinisches Kaiserreich bezeichnet werden, wie wiederum Ostrogorsky zusammenfasst.
Splendeur de Byzance
Verallgemeinernd könnte man behaupten, dass erst den Osmanen das gelungen war, was alle Völker in der Nachbarschaft Byzanzens 900 Jahre lang versucht hatten: „Konstantinopel zu erobern und das Reich zu gewinnen“, schreibt wieder Schreiner. Die „Defensive“ habe das Reich in Bezug auf seine wirtschaftlichen und territorialen Grundlagen auf allen Ebenen bestimmt und beeinflusst, denn es erlebte nur kurze Perioden des Friedens und der Offensive. Das Verhältnis zwischen Capitale und Provinz umschreibt Restle mit den Worten: „Konstantinopel war bis in seine letzten Tage eine Stadt der Wunder, über die man das Reich vergessen konnte.“ Und wenn fremde Fürsten oder Herrscher die Stadt besuchten, mussten sie bald anerkennen: „Konstantinopel war der Inbegriff dessen, was man in der Heimat nicht besaß“, bemerkt Schreiner und so entsandten führende Dynastien Europas ihre Königsöhne in die ferne Stadt, damit sie dort Elitekultur und Repräsentation erlernten. Der exotisch anmutende „Splendeur de Byzance“ sollte bald in der ganzen Welt erstrahlen, auch wenn der Glanz spätestens mit der Eroberung durch Dandalo, dem Dogen von Venedig, 1204 in die abendländische Kultur als Diebesgut wieder re-integriert wurde, nicht umsonst trug eine der ersten Ausstellungen zum Thema Byzanz den Titel „L`art byzantin – art europèen“: byzantinische Kultur ist vor allem auch europäische Kultur, auch wenn „ein sichtbar gewordenes Byzanz“, ein nicht mehr „gefesseltes Byzanz“ für Peter Schreiner nur mehr in der Fiktion einer gedanklichen Konzeption existiere.
Die Ausstellung ist noch vom 26. Februar bis zum 13. Juni 2010 in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn zu sehen. Vorab sollte man aber vorliegenden Katalog des Hirmer Verlages konsultieren, damit man zielstrebig die richtigen Objekte besucht, denn die könnten ob der Fülle des Materials leicht untergehen. Vor allem aber sollte man sich – abgesehen von den unzähligen abgebildeten Kunstgegenständen – auch Zeit nehmen für die interessanten Essays, die vorliegender Prachtband bietet. Weitere Beiträge stammen nämlich von Ralph-Johannes Lilie zum byzantinischen Herrschaftssystem und Sozialstruktur und gesellschaftlicher Dynamik, von Lukas Amdeus Schachner zur Kirche im Reich, von Diether Roderich Reinsch zur Sprache und Schrift sowie Literatur, von Urs Peschlow zur Baukunst und von vielen weiteren Autoren mehr zu Kunsthandwerk, Buchmalerei, Handwerk und Landwirtschaft.
Robert Fleck/Falko Daim (Hrsg)
Byzanz - Pracht und Alltag
2010
Hirmer www.hirmerverlag.de
408 Seiten, 28 Farbtafeln,
438 Abbildungen in Farbe und 4 in schwarz-weiß, 11 Karten, 3 Grundrisse, Zeittafel, Register.
24,5 x 28 cm. Gebunden.
München, 2010.
ISBN: 978-3-7774-2531-3
42,00 € [D] | 67,90 SFR [CH]
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2010-03-31)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.