Rugantino ist nicht nur ein Film, der im Rom des Jahres 1848 angesiedelt ist, sondern auch der Name eines gleichnamigen Musicals von Garinei e Giovannini. Darüber hinaus ist „Rugantino“ aber auch die Bezeichnung einer „Maske“ oder klassische Figur des römischen Theaters, die einen typischen römischen Charakter symbolisiert. „er bullo de Trastevere, svelto co' le parole e cor cortello“, ein junger arroganter und unverschämter aber im Kern guter und liebenswerter Typ Mensch, der so typisch ist für die römische Unterschicht und dem das Theater, das Musical und der Film ein Denkmal setzen. Ein typischer Charakterzug des Rugantino ist seine Arroganz und tatsächlich kommt sein Name von dem römischen Ausdruck „ruganza“, als italienisch: „arroganza". Die Tradition des Rugantino reicht als Puppentheater (burratino) sogar bis ins Jahr 1700 zurück, zwei solcher Marionetten kommen auch im Film vor und bringen ihren „Beweger“ gleich mehrmals ins Gefängnis. Odoardo Zuccari präsentierte den Charakter 1848 mit den Worten: „Cor cappello a du' pizzi, cor grugno lungo du' parmi, co' 'na scucchia rivortata 'nsù a uso de cucchiaro, co' no' spadone che nun ce la po' quello der sor Radeschio, e co' le cianche come l'Arco de Pantano, se presenta, Signori mia, Rugantino er duro, nato 'nsto piccolo castelluccio e cresciuto a forza de sventole, perché ha avuto 'gni sempre er vizio de rugà e d'arilevacce“. Rugantino ist also so etwas wie eine Karikatur des Gendarmen, der als capo dei briganti identifiziert wird. Heute würde man Rugantino wohl als Platzhirsch bezeichnen, als ein junger Mann, der sein Wohnviertel oder Quartier mit seinem Benehmen als „harter Macker“ dominieren möchte aber in Wirklichkeiteher ein Angeber immer bereit zu großen aber furchtsam gegenüber Taten.
“Stich in den Bauch“
Die Komödie, die im Revolutionsjahr 1848 in Rom spielt beinhaltet auch gehörigen sozialen Sprengstoff, denn es werden sowohl die gelangweilten Reichen auf die Schippe genommen, als auch diverse Unterklassenphänomene, wie etwa das machistische Verhalten junger Ehemänner ihren Frauen gegenüber. So bedroht der Ehemann von Rosetta jeden mit seinem langen Messer, der seine Frau auch nur ansieht, bis er auf Rugantino trifft, der den Mund immer voll hat und keine Angst zeigt, wenn es ums Reden geht, nur dann wenn es ums Handeln geht, zieht er sich zurück und macht eine Fliege. Beim ersten Zusammentreffen bricht ihm Rosettas Ehemann nur den Zeigefinger als Verwarnung, aber beim nächsten Mal werde er ihn kaltmachen, so das Versprechen. Jedoch kommt Rugantino der Zufall zu Hilfe, denn ein anderer Bewunderer von Rosettas Schönheit, ein Poet, wird von ihrem Ehemann vorher umgebracht und so muss der Ehemann vorerst fliehen. Rugantino treibt derweilen allerhand Schabernack, schließt Wetten mit seinen Freunden ab, dass er Rosetta doch kriegen wird, eines Tages, oder er vergnügt sich auf der Ripella, der Hurenstraße Roms, mit einer Prostitutierten. Doch diese ist in Wirklichkeit die Frau des Grafen, was Rugantino allerdings vorerst nicht weiß. „Die Frauen sind alle so wie ich“, flüstert sie ihm ins Ohr, „aber ich bin ehrlich.“ Die Spiele der Reichen, sich als Nutten zu verkleiden und ihre Männer verprügeln dann ihre Freier (5:1) zeigen die Dekadenz der Adeligen der vorrevolutionären Zeit. „Was ist denn in dem Sack?“ fragen die Römer, aber die Adeligen antworten ambivalent „Nichts als ein kalter Bauer!“ Natürlich ist die Sprache voller sexueller Anspielungen und an das Milieu, in dem der Film spielt, angepasst. Kraftausdrücke wie „Mir spannt der Ranzen“ oder „Spaltbares Material“, „Stich dich in den Bauch“ sind auch auf Deutsch klar als das zu erkennen, was sie beschreiben. „Wenn du mir noch einen Finger brichst“ sagt Rugantino bei der zweiten Begegnung zum Ehemann Rosettas, „dann sieht meine Hand so aus wie die Hörner auf Deinem Kopf!“ Dieses Wortspiel ist natürlich nur auf Italienisch verständlich und wird zum vollen Genuss im Original, das auf dieser DVD leider nicht möglich ist. Es wäre besser Filme in Deutsch und der Originalsprache herauszubringen, nicht aber einen italienischen Film auf Deutsch und Englisch.
Roma nun fa‘ la stupida
Bei allem Spaß, der in dieser Komödie in klassischem 70er Jahre Humor mit deutscher und englischer Synchronisation rübergebracht wird, darf aber nicht auf die sozialrevolutionäre des Karneval vergessen werden, denn tatsächlich, war er bis ins 20. Jahrhundert hinein die einzige Möglichkeit für das gemeine Volk, einmal so richtig Dampf abzulassen und die Klassengrenzen hinter Masken niederzureißen, wenigstens für die kurze Zeit einiger Wochen. Eine besonders witzige Szene ist, als Rugantion in seinem jugendlichen Übermut eine tote schwarze Katze in das offene Fenster eines Palastes der Reichen wirft. Nur, die tote Katze landet inmitten einer Totenfeier genau auf dem Leichnam und so verwandeln sich die Gebete der Anwesenden bald in Flüche und Verdammungen. Damit wird auch die Scheinheiligkeit der Christenmenschen persifliert, denn gerade die Reichen benutzen die Religion vor allem für ihre Zwecke und zu ihrem Vorteil, wie sich noch zeigen wird. Rugantino wird bald von den noblen Herrschaften zum Dinner in den Palast eingeladen und muss dann dort alleine die tote Katze verspeisen. „Die Katze ist mit Rosmarin zubereitet“, lächelt der Graf, aber Rugantino antwortet nur draufgängerisch: „Ros...Wie heißt die Dame?“ Alles was ihm fehlt ist die Beilage, ein paar Mäuschen dazu wären noch gut gewesen. „Se un pittore ti volesse dipintare, non sarebbe dove cominciare“ lautet ein Ständchen vor Rosettas Fenster und tatsächlich ist sie so schön, dass ihr Ehemann allen Grund hat sie zu verteidigen. Aber sie liebt ihn gar nicht, denn er hat einst einen Liberalen verraten und somit auch das Volk von Rom, das für seine Freiheit kämpfte. Ein politischer Attentäter beseitigt wiederum ihn und bald sieht es so aus, als wäre Rugantino der Mörder gewesen. „Einer der immer ein Hanswurst war, wird endlich zu dem, was er er immer sein wollte“, sagt Rugantino zu seinem Henker. Wie ein Cäsar wird Rugantino dann zur Hinrichtung geführt, vorbei am Forum Romanum, dem Triumphbogen, der Via Appia, dem Colloseum. „Denk endlich einmal an dich und hör auf zu meckern, verdammtnocheins“, ruft ihm seine Mutter aufs Schaffott zu. Der Angelo del castello schaut nur in die Augen Rosettas. „Roma nun fa‘ la stupida stasera/ Damme na mano a faie di de si/Scegli tutte le stelle/ Piu' brillarelleche c'hai/E un friccico de luna tutta pe noi …“
Pasquale Festa Campanile
Rugantino
DVD, 1973, 110 min
Bellaphon
Mit Adriano Celentano (Rugantino) und Claudia Mori (Rosetta)
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2014-02-22)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.