Die langersehnte Fortsetzung des 2018 bei Panini erschienen gleichnamigen Bestsellers liegt nun endlich vor. Der völlig eigenwillige und besondere neue Erzählrhythmus von Ferris, der allein mit Bleistift- und Kugelschreiberzeichnungen umgesetzt wurde, begeisterte damals Kritiker und Comic-Nerds. Das fiktive grafische Tagebuch der 10-jährigen Karen Reyes feiert nunmehr endlich seine Fortsetzung.
Am liebsten mag ich Monster Teil 1 und 2
Der zweite Teil schließt graphisch und stilistisch an den Vorgänger an und führt die Geschichte weiter. Dabei greift Ferris auf ältere Horror-Comics zurück, deren Cover sie gerne als Kind abzeichnete. Doch setzte sie später ihren eigenen faszinierenden und brillanten Stil hinzu und zündet ein Ideen-Feuerwerk der Sonderklasse. Die Geschichte der Autorin aus Chicago spielt in derselben Stadt in den 1960er Jahren. Die Protagonistin, die zehnjährige Karen Reyes wird in der Schule gehänselt und verbringt viel Zeit alleine, in der sie Monstergeschichten liest und vor sich hinzeichnet. Bald entdeckt sie, dass ihre rätselhafte Nachbarin Anka Silverberg eine Überlebende der Shoah ist und im Berlin der 1920er/30er Jahre Kindesmissbrauch und Zwangsprostitution erleiden musste. So weit der erste Teil. Im zweiten Teil rückt Karen's Bruder Deeze in den Vordergrund, der als Kind versehentlich seinen Bruder Viktor erschoss. "Mut heißt nicht, keine Angst zu haben, sondern seine Angst in die Schlacht zu tragen.", so ihr Bruder Deeze, der womanizer und Kleinkriminelle, der für seine kleine Schwester bis zum Schluss voller Geheimnisse bleibt. "Ich verwandelte die Geschichte, die Deeze mir erzählte in einen Cartoon. Vielleicht, weil Cartoon-Bilder traurige Geschichten erzählen...auf eine Weise, die nicht weh tut.", sagt Karen und gibt damit wohl auch das Credo der eigentlich Urheberin preis, die ganz schöne viele Gemälde der Kunstgeschichte in ihrem ganz eigenen Stil abzeichnete.
Zeichnen als Rehabilitationsprozess
Darunter etwa von Künstlern wie Felice Ficherelli, Edward Hopper, Caravaggio, Lukas Cranach d.Ä., Goya, Georges Seurat, Eugène Delacroix u.v.a.m. Viele andere Referenzen zur Kunst- und Comickultur machen vorliegendes 400-Seiten starkes Werk zu einem Nachschlagewerk der Pop-Kultur der Sechziger. So wird etwa auf diverse Horror- und Monstermagazine wie "Ghastly", "The Lurch", "Dread","Spectral", "Arcane", "Ghoulish" rekurriert, deren Namen zwar erfunden sind, die es aber - unter anderer Bezeichnung - wirklich gibt. Aber auch das Aufkommen des Feminismus in den Sechzigern wird mit den Worten der jungen Karen thematisiert: "Mein leben lang sehe ich Bilder auf denen Frauen als 'sexy' dargestellt werden, wenn man ihnen weh tut. Das vermittelt mir die Botschaft, und ich glaube, sie lautet: Frauen sind am besten, wenn man ihnen wehtut." Aber auch ihre eigenen Gefühle entblößt Emil wenn sie Karen sagen lässt: "Meine Mutter ermahnte mich, zu viel Süßes zu naschen", aber das könne sie jetzt leider nicht mehr machen, "mich zu beschämen und mir das Gefühl zu geben, geliebt zu werden". Die ganz eigene Ästhetik des vorliegenden Werks erinnert an die Faksimile eines Collegeblocks und erzeugt damit eine Intimität mit der Autorin und Zeichnerin Emil Ferris, die selbst ein hartes Schicksal hat, einem wie eine Bekannte vorkommt. Emil wurde vom West-Nil-Fieber angesteckt und sitzt seither im Rollstuhl. Sie lernte mit Tape einen Stift an ihrer Hand zu befestigen, sodass sie zuerst Schraffieren, dann Zeichnen neu erlernte. Über das Zeichnen trainierte sie dann ihre Motorik und so wurde der Comic zum wichtigen Teil ihres Rehabilitationsprozesses.
Mit ihrer sehr persönlichen Art Comics zu zeichnen und ihren intimen Einblicken erinnert Emil Ferris u.a. an Robert Crumb, mit ihrem Bezug zur Aufarbeitung des Holocaust an "Maus"-Erzähler Art Spiegelman und mit ihren Kunstreferenzen und feministischen Diskursen wird sie schließlich zur "Altmeisterin" einer neuen feministischen Geschichtsschreibung. Wer also noch nicht weiß, was eine vesica piscis ist oder warum Hopper nur Rechtecke zeichnet lernt bei Emil Ferris ganz nebenbei die wichtigsten Begriffe der Kunstgeschichte.
Emil Ferris
Am liebsten mag ich Monster 2
Autor & Zeichner: Emil Ferris
Original Storys: My Favorite Thing is Monsters Vol. 2
2024, Klebebindung, 420 Seiten, Format: 20.3 X 26.9
ISBN: 9783741638237
Panini
39,00 €
[*] Diese Rezension schrieb: Juergen Weber (2024-12-26)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.