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Jerome Ferrari - Balco Antlantico
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Ferrari, Jerome:
Balco Antlantico

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(Bücher frei Haus)

„Die Aussicht auf Trost kann unzumutbar sein“ weiß Marie-Angèle, die der aufmerksame Leser der Korsika-Triologie von Ferrari schon aus den anderen beiden Romanen des Goncourt-Preisträgers kennt. „Balco Atlantico“ spielt zwar auf Korsika, aber der (titelgebende) Balco Atlantico ist eigentlich ein Küstenstreifen in Tanger, Marokko, der vielleicht auch die unsichtbare Grenze zwischen einem guten und einem ehrlichen Leben symbolisch markiert. Dass „eine Idee von Gewicht sein kann“ bekommt der Ich-Erzähler bald an eigener Haut zu spüren, denn die Versuche, ein und derselbe Mensch zu sein scheitern kläglich und so erkennt er bald, dass auch er ein Hochstapler ist, der seine Monographie auf Lügengespinsten aufbaut und seine Rolle als Gastdozent schamlos dazu ausnützt, seine Studentinnen und Kolleginnen „frenetisch“ zu vögeln und ihre Höschen zu sammeln.

Die Jungfrau Virginie
Und dann ist da Stéphane Campana, der sich dem nationalistischen Freiheitskampf verschrieben hat, und eine Art platonische Liebe zu Virginie Susini pflegt, die auch die einzige sein wird, die über seinen Leichnam gebeugt weinen wird, sich aber ansonsten munter durch das korsische Nest vögelt, in dem die meisten ProtagonistInnen wieder in einer Bar arbeiten oder zumindest ihren Durst nach Leben dort stillen. Virginie (nomen est omen) ist noch zu jung für Sex, das „Gift der Liebe“, wie Stéphane es nennt, er will sie nur anhimmeln, sie unversehrt heranwachsen sehen, bis sie endlich volljährig ist, doch dann steigt ausgerechnet sein bester Freund mit ihr ins Bett. Aber nicht weil er es wollte, sondern weil Virginie das Bedürfnis nach Genugtuung verspürte, Rache wolte. Stéphane hat nämlich geheiratet. Stéphane wird aber auch das nicht vor seinem Schicksal bewahren, denn er hat gemordet. Zwei mehr oder weniger unschuldige marokkanische Kif-Dealer im Namen der Befreiung kaltblütig ermordet. Aber was hat Korsika`s Unabhängigkeit mit zwei minderjährigen Rauschgifthändlern zu tun?

Mord auf Polaroid
Jérôme Ferrari beschreibt wie im Befreiungskampf alles zum Selbstzweck verkommen kann und man sich für sinnlose Taten rühmt, die man dann auch noch auf Polaroid festhält. Morde an beinahe Unschuldigen werden zu Heldentaten erklärt, dabei kann an einem Mord, egal aus welchem Grund, niemals etwas Rühmliches sein. Da ist es schon viel mutiger, ein Kind in die Welt zu setzen: „Wie man voller Enthusiasmus überhaupt in Erwägung ziehen kann, ein neues menschliches Wesen auf die Welt zu werfen, habe ich noch nie kapiert. Was soll lobenswert daran sein, ein Wesen, das sich nichts erbeten, aus dem Nichts zu ziehen, nur um es ganz gewiss zur Beute werden zu lassen von Krankheit, Leiden, Fiskus und Tod“, so Théodore, der wegen einer Hodenoperation im Krankenhaus liegt und im Nachthemd herumlaufen muss. Er kannte Momente der Revolte und lässt diese nun seinen Arzt spüren, dabei ist er der einzige, der die wahren Leiden des jungen Mannes kennt: „Das Leben ist nicht schlüssig, es verlohnt nicht zu beharren“. Vielleicht sollte man deswegen manchesmal nachgeben?

Der Abgrund der Welt
„Die Welt ist auf links gedreht wie ein Handschuh. Der Himmel ist ein furchteinflössender Abgrund“, schreibt Ferrari an einer anderen Stelle. Am Ende habe er sich aber nicht zu beklagen, „Ich, der ich mich niemals wirklich schuldig gefühlt habe, bin nie bestraft worden. All diese Verzweiflung und all diese Einsamkeit waren keine Strafe“, so der Ich-Erzähler. Bald würde er frei sein von Begehren und Angst. Und bald würde auch Stéphane fallen. So wie die beiden Marokkaner, eines sinnlosen Todes auf einer wunderschönen Insel des Lebens und der Liebe beraubt...

Jérôme Ferrari
Balco Antlantico. Roman.
Aus dem Französischen von Christian
Ruzicska und Paul Sourzac
secession Verlag für Literatur

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2014-06-22)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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