„Eigentlich“ hatte sie ihr ja versprochen, nie über sie zu schreiben, doch dann wurde eine vierbändige Monographie daraus in der es natürlich nicht nur um ihre beste Freundin geht, sondern auch um das Leben in Neapel im letzten Jahrtausend. Die Rede ist natürlich von Elena Greco genannt Lenuccia oder Lenù und Raffaella Cerullo genannt Lina oder Lila, den beiden inzwischen wohl bekanntesten ABFs (Allerbeste Freundinnen) der Weltliteratur. Aber wie das bei ABFs eben so ist, gibt es neben sehr viel Liebe, auch sehr viel Hass und da wo Aprikosen blühen auch sehr viel Brennesseln, vor allem dann natürlich, wenn man denselben Mann liebt.
Geschichte einer Freundschaft
„Ich sprach darüber, wie die Liebe zu einem Mann Frauen dazu treiben kann, anderen Frauen und den Kindern gegenüber jede nur mögliche Schandtat zu begehen.“ Aber nicht Nino ist der eigentliche Stein des Anstoßes zwischen den beiden ABFs, sondern der Erfolg. Zwar ist auch Lila mit der Entwicklung von Computern sehr erfolgreich, aber eigentlich wäre doch sie die viel bessere Schriftstellerin wie Lenù seit der „Blauen Fee“ weiß. Als Lenù dann entdeckt, dass Nino ein Doppelleben führt – so wie viele andere Männer auch – wird zumindest ihre Beziehung zu Pietro, dem Vater ihrer Kinder und Ex-Ehemann, wieder besser. Auch ein Erdbeben trägt wesentlich dazu bei, dass sie sich wieder „geerderter“ fühlt als zuvor und sie sich ihrer sozialen Rolle als Schriftstellerin wieder mehr bewusst wird. Schließlich hat sie sich mit den Solaras angelegt. „Du schreibst doch Bücher, du bist für Erklärungen zuständig“, verhöhnt ihre Freundin Lina sie, denn wer eine große Stimme hat, hat auch viel Verantwortung.
Geschichte einer Rivalität
Aber Lenù weiß, dass man nicht um des Schreibens willen schreibt, sondern man schreibe „um denen Schmerz zuzufügen, die Schmerz zufügen wollen“. Den Schmerz der Worte, gegen den Schmerz von Faustschlägen, Fußtritten und tödlichen Waffen allerdings, muss man in Neapel wohl nicht extra dazusagen. Aber schlussendlich kann ein Buch nur sehr viel Lärm produzieren, so wie in der Antike der Kriegslärm vor der Schlacht. Schreiben ist also auch nur Theaterdonner, das eigentliche Geschehen kann damit nur sehr begrenzt beeinflusst werden. „Das Italien“, heißt es an einer Stelle, „in dem wir leben, ist viel schlimmer, als wir uns das erzählen.“ Oder als das, das wir uns erzählen. Elena Ferrante bringt im vierten Teil ihrer Neapolitanischen Saga geschickt auch die Geschichte von den beiden Puppen, die Lenù und Lila einst verloren, zu Ende. Denn auch eine Freundschaft findet einmal ein Ende.
Elena Ferrante?
Die Geschichte des verlorenen Kindes - Band 4 der Neapolitanischen Saga (Reife und Alter)
Aus dem Italienischen von Karin Krieger
2018, gebunden, 614 Seiten?
ISBN: 978-3-518-42576-3
D: 25,00 €/?A: 25,70 €/ ?CH: 35,50 sFr
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2018-07-25)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.