Wenn es Biotope für einen deutschen Underground in der alten Bundesrepublik gab, dann waren diese allenfalls in Frankfurt, aber eigentlich am besten in Westberlin zu finden. Die irrwitzige politische wie geographische Inselsituation mit ihrer eigenen Lebensphilosophie hatte in den siebziger und achtziger Jahre viele angelockt, die in der eher konservativ gesetzten und bürgerlich definierten Republik nicht zurecht kamen. Outcasts, outs, Zocker, Schieber und Luden konnten sich in Berlin besser entfalten als anderswo. Mit ihnen korrespondierten politische Figuren, die aus den intransparenten Wiederaufbaustrukturen mit ihren Schwarzmärkten und Kellerdeals erwachsen waren. Eine Folie, die niemand anderes zu einem Undergroundroman so gekonnt und sprachlich pittoresk nutzen konnte wie Jörg Fauser. Das Schlangenmaul erschien erstmals 1985 und ist bis heute eine lohnende Lektüre für alle, die das Genre mögen.
Die Handlung ist so abstrus wie das soziale Feld, auf der sie sich bewegt. Da ist zum einen der heruntergekommene Gossenjournalist Harder, der selbst in der Regenbogen- und Sensationspresse seinen Platz verloren hat und mit einem Inserat, in dem er sich als Bergungsspezialist für besonders heikle Fälle anbietet, wieder zum Zuge kommt. Er bekommt einen Auftrag von der Gattin eines auf Entzug befindlichen Politikers aus Hannover, die sich um den Verbleib ihrer Tochter sorgt, die spurlos verschwunden ist. Die Mutter selbst hatte während der durchtränkten Karriere ihres Mannes ein Verhältnis mit einer schillernden Figur der Berliner Unterwelt. Mit dem genetisch sicheren Gespür des Skandaljournalisten findet Harder heraus, dass der Weg der Vermissten zu diesem Zuhälter und Obskurantisten führt, der in Berlin im Bordell- und Zockermilieu operiert. Unter anderem betreibt er einen Club Kamasutra, in dem unter dem Deckmantel spiritistischer Neigungen der nur noch pathologisch erklärbare Kick nach der ultimativen sexuellen Klimax unter Einbeziehung giftiger Riesenschlangen gewährleistet werden soll. Tatsächlich spielt die vermisste Tochter in dieser Gegenwelt hypnotisiert und unter Drogen unter dem Namen Shiva eine Rolle. Der Showdown erfolgt in einem Anwesen am Rande Berlins, wenige hundert Meter vor der Mauer, in der die Schlangen gehalten und mit Hilfe mysteriöser Berliner Politiker eine Geschäftsidee entwickelt werden soll, in der die Schlangenpraktiken im Mittelpunkt stehen. Unter Gunpoint gelingt es Harder, das Mädchen zu befreien, dabei erliegt der Ludenkönig dem Biss einer giftigen Schlange und die Hütte brennt ab. Harder bekommt von der Mutter der Geborgenen einen Scheck über 20.000 Mark, den er jedoch vor einem Steuerfahnder, der ihm schon lange auf den Fersen ist, zerreißt, mit der Bemerkung, er sei faul, weil selbst ihn, den out, die Perversion der polit-kriminellen Sphäre nur noch anwidert.
Der Roman ist spannend zu lesen und vor allem ein weiteres Indiz für den sicheren Blick Fausers für das Abstruse und Irrwitzige. Die Sprache gehört zu dem Besten, was in diesem Genre je in Deutschland durch die Printmaschinen gejagt wurde. Sie ist lasziv, gefährlich, giftig und treibt den Puls hoch.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2010-02-27)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.