Der 1944 geborene Schriftsteller Jörg Fauser zählte zu den großen Hoffnungen der Bundesrepublik Deutschland. Mit Erzählungen, Romanen, Gedichten und Reportagen machte er gleichsam auf sich aufmerksam. Sein Stil hatte einen journalistischen Kern und umfasste dennoch das Spektrum verschiedenster Schreibtechniken, die trotz unterschiedlicher Diktion allesamt das Gefühl gesteigerten Tempos vermittelten. Jörg Fauser kam am 17. Juli 1987, 43jährig und einen Tag nach seinem Geburtstag unter einem Lastwagen bei München um. Mit dem Roman Schneemann war ihm 1981 der Durchbruch gelungen.
Der Protagonist des Romans ist Blum, eine zwielichtige Gestalt, wie sie nur zu jener Zeit aufkommen konnte. Blum hält sich über Wasser mit Butterfahrten, als Antiquitätenhändler mit gefälschten Ikonen, ist im linkspolitischen Milieu zuhause, handelt mit pornographischen Magazinen und hängt in traurigen Striptease Bars ab. Sein Irrweg beginnt auf der Insel Malta, auf der er gelandet ist, um dänische Pornos aufs dem Jahre 1968 an einen Pakistani zu verkaufen. Durch schillernde Vermittler landet er jedoch bei einem italienischen Dealer, der allerdings unter mysteriösen Umständen verschwindet und ihm einen Koffer mit fünf Kilo reinsten Kokains, Peruvian Flake, 96%! hinterlässt. Mit diesem Koffer beginnt die Odyssee Blums über München Frankfurt, Amsterdam nach Oostende, wo ihm das teure Cargo wieder abhanden kommt, ohne es erfolgreich verkauft zu haben, um zu erkennen, dass er nur Spielball dunkler Mächte gewesen ist, die eng mit der Politik verzahnt sind.
Die Reise Blums kann als das Ulysses der deutschen Nachkriegsbundesrepublik gesehen werden mit ihren Brüchen, ihrem Aberwitz, den ruinös nebeneinander stehenden Subkulturen, die ihre Grundaggression ausleben und bewahrt haben. Die Handlung spielt recht nah zur Niederschrift Ende der siebziger Jahre, d.h. das revolutionäre Pathos ist gewichen, ohne dass die Gesellschaft befriedet wäre. Eine gewisse Saturiertheit hat sich in den verschiedenen Milieus und Biotopen breit gemacht, aber auch das Hungrige und Skrupellose ist geblieben. Erste Anzeichen eines Profitstrebens ohne sittliche Begründung stechen ins Auge und das Wort Dekadenz macht bereits die Runde, ehe es laut artikuliert wirt.
Blum, der aus Zufall zum Kokaindealer ohne Fortune wird, durchschreitet nicht ohne die Sympathie des Lesers die Stadtlandschaften, weil er mit der Finesse des Individualanarchisten die verschiedenen Lebenslagen meistert, ohne jemals Erfolg zu haben. Das heißt Blum ist der eigentliche Looser, der aber niemals untergeht, weil sein Lebenswille nicht zu brechen ist. Selbst in der Stunde seiner Niederlage beweist er Größe, indem er sich nicht kaufen lässt und für einen lauen Job mit in die Karibik geht, sondern die Geselligkeit in einem lausigen belgischen Stripteaseschuppen dieser Option vorzieht.
Jörg Fauser, der nun schon mehr als zwanzig Jahre tot ist, ist nach wie vor ein loderndes Feuer der bundesrepublikanischen Literatur, und das Sedierende, Langatmige, Korrupte und Banale der Vereinigungsepoche blieb ihm Zeit seines Lebens fremd. Bei der neuerlichen Lektüre Fausers wird bewusst, wie viel Esprit und Energie der Vergangenheit angehört.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2009-06-23)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.