In ihrem neuen Roman "Rosaleens Fest", der für die Auszeichnung des Booker -Preises 2015 nominiert war, den sie vor Jahren mit ihrem Buch "Familientreffen" schon einmal gewann, geht es wieder einmal um eines der Lieblingsthemen und -sujets der irischen Schriftstellerin Anne Enright. Die Familie, was sie zusammenhält und charakterisiert, wie Kinder von ihr geprägt werden, vor allen Dingen von starken Mutterfiguren, wie sie versuchen, ihr in ein eigenes Leben zu entfliehen und wie sie am Ende doch anerkennen müssen, dass das Zuhause nicht nur der Ort ist, wo die unterschiedlichen Lebensprobleme begannen, sondern erstaunlicherweise auch der, wo sie gelöst werden können.
Rosaleen ist in der Gegenwartsebene des Buches, also im Jahr 2005, als sie ihre vier Kinder zu Weihnachten nach Hause ruft, etwa Mitte siebzig Jahre alt.
Sie hat zwei Söhne, Dan, der zunächst Priester werden wollte und Emmet. Dan ist homosexuell und geht bald nach Amerika, wo ihn Anne Enright im ersten Teil des Buches in den achtziger Jahren begleitet, als Aids noch auf eine vernichtende und meist tödliche Weise in der Schwulenszene wütete.
Emmet hat sich der Entwicklungshilfe verschrieben. Auch ihm und seinem Leben und seinen immer wieder von bitterer Enttäuschung heimgesuchten Idealen folgt Anne Enright über eine lange Strecke. Ihr gelingt es hervorragend an diesen beiden in die Ferne geflohenen Söhnen etwas zu zeigen von einer Welt, die in diesem Zeitraum der achtziger und neunziger Jahre schon beginnt sich zu globalisieren und an vielen Orten aus den Fugen gerät und nicht nur in Irland sondern überall Krisen, Chaos und Elend produziert.
Doch die beiden Töchter Rosaleens, das Nesthäkchen Hanna, die nach enttäuschten Theaterambitionen in der traurigen Welt des Alkohols und Selbstmitleids hart gelandet ist und die Familienfrau und Mutter Constance, die sich leer gebrannt und in der Aufopferung für ihre Familie selbst verloren hat, haben sich von ihrer Mutter und Familie ebensowenig abgenabelt und selbständig gemacht wie ihre Brüder, die die Lösung in einer mit Freiheit imaginierten Fremde gesucht haben. Jeder auf seine eigene Weise, meist nicht recht bewusst, versucht sein Leben so zu führen, als ob er es als Kind der trotz allem geliebten Mutter recht machen wollte.
In wechselnden chronologisch geordneten Rückblicken verfolgt Anne Enright das Leben der vier Kinder und ihrer Mutter von 1980 bis zu jenem Winter 2005, als Rosaleen ihre Kinder zum Weihnachtsfest einlädt, wo sie ihnen offenbaren will, dass sie das Haus in Ardeevin, in dem die vier Geschwister aufgewachsen sind und mit dem sie die widersprüchlichsten Erinnerungen verbinden, verkaufen möchte.
Alle reisen pünktlich an mit Gedanken und Hoffnungen auf so etwas wie Versöhnung mit einer nie wirklich mit ihrem Leben zufriedenen Mutter. Doch was sie erleben, scheint altbekannte
und eingespielt. Same procedure as every year.
"Rosaleens Fest" ist ein dichter Familienroman, der sich hinabwagt in die Gründe und Abgründe von Liebe und Hass, der menschliches Verhalten und Fehlverhalten schonungslos beschreibt und dennoch voller Verständnis ist für seine allesamt irgendwie gescheiterten Figuren. Und vor allen Dingen voller Hochachtung dafür, was eine Familie und was eine Mutter bei allen Schwächen und Fehlern leisten und bedeuten.
Mit einer enormen emotionalen Wucht will der Roman zeigen und in Erinnerung rufen, was das Leben wirklich ausmacht.
Ein mit großer Meisterschaft geschriebenes Buch.
Anne Enright, Rosaleens Fest, DVA 2015, ISBN 978-3-421-04700-7
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2015-11-30)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.