Cecilie Enger, Die Geschenke meiner Mutter, DVA 2014, ISBN 978-3-421-04652-9
In Deutschland relativ unbekannt, ist die 1963 geborene Schriftstellerin Cecilie Enger in ihrem Heimatland Norwegen nicht nur eine bekannte Journalistin bei einer der führenden norwegischen Zeitungen, sondern auch eine erfolgreiche und mit vielen Preisen ausgezeichnete Romanautorin.
In ihrem hier von Gabriele Haefs aus dem Norwegischen übersetzten siebten Buch nähert sie sich, stark autobiographisch gefärbt, der Geschichte ihrer Mutter und ihrer Familie. Als die Mutter Cecilies nämlich irgendwann wegen ihrer fortschreitenden Alzheimer-Krankheit nicht mehr selbständig zu Hause bleiben kann und fortan in einem Pflegeheim leben muss, sieht sich Cecilie vor die Aufgabe gestellt, das Elternhaus auszuräumen.
Dabei findet sie tief hinten in einer Schublade versteckt einen Packen Papiere, sauber geordnet, eng beschrieben mit der Handschrift der Mutter. Es stellt sich heraus, dass die Mutter ohne Wissen der anderen Familienmitglieder über einen Zeitraum von nahezu vierzig Jahren jedes Jahr alle Weihnachtsgeschenke vermerkt hat, die in der Familie gegenseitig ausgetauscht wurden.
Bei den Besuchen, die sie ihrer Mutter im Heim abstattet, kann sie mit ihr darüber nicht reden. Die Mutter erkennt ihre Tochter nicht mehr und diese muss sich mit wenigen Lichtblitzen des verbliebenen Langzeitgedächtnisses der Mutter zufrieden geben.
Umso intensiver beschäftigt sie sich fortan mit den Weihnachtsaufzeichnungen der Mutter. Sie geht dabei chronologisch vor und lässt sich von den dort aufgeführten Namen und Jahreszahlen und den gemachten Präsenten forttreiben in eine Welle von Erinnerungen an Menschen, nahe und geliebte und ferne, fremd gebliebene. All diese Szenen helfen Cecilie, die schwierige Situation eines Abschieds zu Lebzeiten zu verkraften. Da beschreibt sie regelrechte Familiendramen, erlebt tiefe Glücksmomente wieder und wärmt sich an Geschichten, die das Leben in ihrer Familie schrieb.
Einer Familie mit einem einflussreichem bürgerlichen Hintergrund, in der die Literatur eine große Rolle spielte. Die Mutter ist eine politisch sehr engagierte Frau, die insbesondere 1971 vor der endgültigen Abstimmung über die EG-Mitgliedschaft Norwegens durch ihre Aktivitäten sich immer mehr von ihrem Mann, der schon bald eine führende Position in einem großen Konzern innehat, entfremdet. Irgendwann zieht der Vater aus.
Die „Geschenke meiner Mutter“ auf der sich über vier Jahrzehnte hinziehenden Liste lassen Cecilie in die Geschichte ihrer Beziehungen zu ihrer Mutter fallen, eine Beziehung, die geprägt war von enger Verbundenheit einerseits und heftigem Widerspruchsgeist andererseits.
Sie schöpft unendlich viel Kraft und Trost daraus. Sie denkt nach über Liebe und Vergänglichkeit, über die unbeschreibliche Kraft, die eine Familie für ihre Mitglieder darstellen kann und wie das so ist mit der Freude am Schenken.
Wohl dem, so dachte ich oft beim Lesen, der auf eine solche reiche und vor allen Dingen gut dokumentierte Familiengeschichte blicken kann, in ihr lebt und webt und das, was sie getragen hat, vielleicht auch an die eigenen Kinder weitergeben kann.
„Die Geschenke meiner Mutter“ ist ein wunderbarer Roman, der hierzulande bislang aber leider noch zu wenig Beachtung findet.
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2014-10-08)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.