Der absichtlich falsch geschriebene Titel einer Veranstaltung imTempodrom in Berlin Anfang der Achtziger Jahre stand auch Pate für diese Publikation des Hatje Cantz Verlages. Die Ressourcen dieser Bewegung waren oft einfach: Super8 Filme, Dada, Fluxus. „Auf Virtuosität wurde bewusst verzichtet“ , schreibt Weh im Vorwort „Seele brennt“, was wiederum eine Referenz an einen Neubauten Song ist. Was sich tatsächlich durch die ganze Bewegung durchzog, war die Verwendung der deutschen Sprache, die nun endlich gleichwertig neben der englischen Sprache stand. Vielleicht hat auch deswegen das deutsche Goethe Institut das Projekt der Gesamtdarstellung der „Genialen Dilletanten“ gefördert oder zumindest unterstützt.
DIY over Germany
Der Do-it-yourself-Gedanke (DIY) feierte Anfang 80er endlich auch in Deutschland seine Urständ. Die Welle war natürlich von England beeinflusst, dort hatten die Sex Pistols ja schon 1976 ihren Kreuzzug gegen die etablierte Gegenkultur der Hippies geführt und ihr mutig den Todesstoß versetzt: „Never trust a Hippie!“, einer von vielen (englischen) Slogans. In Deutschland war das vielleicht weniger ein Thema und vielleicht kamen deswegen David Bowie, Iggy Pop, Nick Cave und Lou Reed nach Berlin, um sich dortige Szene mal genauer anzuschauen und neue Einflüsse aufzusaugen. Der vorliegende Katalog des Hatje Cantz Verlages gibt Einblicke in die Subkultur und ihre Genres: Musik, Kunst, Film, Mode und Design. Und natürlich steht nicht nur die deutsche Hauptstadt im Mittelpunkt, sondern es werden auch andere Zentren der Bewegung ausgeleuchtet: Düsseldorf, Hamburg und Hannover.
“Wie die schon heißen!“
„Wir sind nicht viele/Doch wir haben uns gefunden“ texteten etwa die Fehlfarben damals und bliesen zum Kampf gegen die spießig gewordene 68er-Kultur die nun ihrerseits langsam Probleme mit der jungen (Punk-)Generation bekam, da sie sich politisch zwar links gebärdete, dann aber doch Sujets der Rechten aufgriff und dekonstruierte. „Geht doch nach drüben!“ – das hatten die Hippies auch schon von ihren Eltern gehört und nun waren sie versucht, es auch den jungen Punks anzuempfehlen: „Geht doch nach drüben! – in den Osten“. Bald hieß die Formel der westdeutschen Bewegung aber dann „Sarkasmus plus postmoderne Authentizität plus Originalität durch Vermeidung handwerklicher Standards“, wie Diederichsen das zusammenfasst. Die „Exzesse von Ruinen und der Kult der Katastrophen“, wie Heinz Schütz die Achtziger nennt berichtet auch über die Tödliche Doris oder die Goldenen Zitronen. „Wie die schon heißen!“ ist eine weitere Kapitelüberschrift.
„Heute Disco/ morgen Umsturz/ übermorgen Landpartie“ schrieb das Magazin Mode&Verzweiflung 1981 und nahm einer nationalen Bewegung ganz ohne Nationalismus damals schon den Wind aus den Segeln. Denn schließlich ist es ja doch nur bei „Disco“ geblieben. Und bei einer wunderbaren Publikation über ein Thema über das es auch heute noch viel zu sagen gibt. Von wegen 80er Revival und so.
Leonhard Emmerling/Mathilde Weh
Geniale Dilletanten
Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland
Hatje Cantz, 160 Seiten, 126 Abbildungen
Englisch/Deutsch
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2015-10-10)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.