Annie bringt ihre Freundin Mae in das Internet-Unternehmen „Circle“ rein und diese ist ebenso bereit den Verlust ihrer Privatsphäre für einen gesicherten Job - ähnlich wie der von Annie als ironisch bezeichneten „Manager der Zukunftssicherheit“ - zu akzeptieren wie ihre Freundin. Hip, jung und dynamisch wollen sie alle sein, diese junge Generation der Zukunft, die gar nicht mehr so sehr Science Fiction zu sein scheint, denn allzu ähnlich klingen die Erfolgsgeschichten real existierender Social Media Plattformen in der heutigen Realität schon. Nicht nur Wasser, Liebesleben oder die Eisenbahn wurden ja bereits privatisiert (im Sinne kapitalistischer privatwirtschaftlicher Expropriation), sondern nun auch die Kontrolle an sich, die nicht mehr nur vom Staat übernommen wird, sondern nun eben auch - ebenso privatisiert wie das ehemalige Staatseigentum - von multinationalen Konzernen, Hightechunternehmen mit ihrem unersättlichen Durst nach Daten, Daten und nochmals Daten. Die Schöne Neue Welt eines Aldous Huxleys lässt ebenso grüßen wie George Orwells 1984. Im Zeitalter der Allmacht der NSA vielleicht ein gar nicht mehr so überraschendes Thema für einen Roman
Silicon Valley Horror
Die Debatte um die Macht der neuen Medien wurde mit Dave Eggers Roman zumindest in den USA heftig angeheizt, deutsche Kritiker zeigten sich allerdings weniger begeistert von diesem Beitrag zur Diskussion um die allgemeine Überwachung und die gläserne Transparenz des Einzelnen. Die Schilderung des hippsten und freundlichsten Internetkonzerns mit Sitz in Kalifornien, der sogar google, apple, facebook und twitter geschluckt hat, mag in Europa aber vielleicht auch deswegen mehr Befremden ausgelöst haben, weil solche Entwicklungen sich in Europa ohnehin immer erst mit einiger Verzögerung einstellen. „Circle“ kann jedenfalls in einer vielleicht gar nicht mehr allzu fernen Zukunft das, wovon heutige Softwareentwickler in Europa erst träumen: durch eine einzige Internetidentität werden alle Geschäfte im Netz abgewickelt und damit die Anonymität im Netz für immer zu Grabe getragen. Zehn Millionen Menschen folgten dem Aufruf zur Transparenz bereits. Würde das World Wide Web dadurch wirklich zu einem besseren Platz werden, wenn sich niemand mehr eine Maske aufsetzen kann und diese absolute Transparenz herrschte?
Transparenz oder das Ende der Anonymität
Dave Eggers‘ Antwort ist die Schilderung einer Zukunft in der „drei Weise“ einen Weltkonzern leiten, der frei ist von jedem Schmutz und aller Kriminalität und in der dadurch das ewige Glück in scheinbar greifbare Nähe rückt. Aber Dave Eggers kennt auch die Gefahren dieser schönen neuen Welt und als Mae einem geheimnisvollen Fremden begegnet, der noch dazu ein Kollege von ihr ist, beginnen sich auch die Risse in dieser dann doch nicht ganz so perfekten Welt zu zeigen. Zukunftsängste wie implantierte Netzhautscreenings und ChildTracking geistern in diesem apokalyptischen Roman ebenso herum wie die Hoffnung auf das Ende einer allzu gut organisierten Kontrollwelt, die Eggers akribisch beschreibt.
Dave Eggers
Der Circle
Roman
Titel der Originalausgabe: The Circle
Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
ISBN: 978-3-462-04675-5
Kiepenheuer & Witsch, 560 Seiten, gebunden
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2015-04-22)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.