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Rezensionen


 
Sean Egan - The Mammoth Book of Bob Dylan
Buchinformation
Egan, Sean - The Mammoth Book of Bob Dylan bestellen
Egan, Sean:
The Mammoth Book of Bob
Dylan

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(Bücher frei Haus)

Die britische Taschenbuchreihe „The Mammoth Book of ...“ scheint eine etwas wechselhafte Angelegenheit zu sein, mit bisweilen pulpnahen und randständigen Gegenständen. The Mammoth Book of Zombie Comics, The Mammoth Book of Tasteless Jokes, The Mammoth Book of Wolf Men, The Mammoth Book of Regency Romance, The Mammoth Book of Casino Games, The Mammoth Book of Drug Barons. Halten wir zuerst fest: Gut über 500 Seiten voller Artikel zu sämtlichen Alben Bob Dylans in chronologischer Folge, Auflistung aller dort veröffentlichten Titel, aller Erscheinungsdaten und Hitparadenpositionen, mit kritischen Einstufungen nicht hinter dem Berg haltende Rezensionen zu den Texten des Kleinen Weißen Wunders, auch noch über Filme wie „Renaldo and Clara“, „Masked and Anonymous“ oder Buchförmiges wie „Chronicles, Vol. 1“, sämtliche bis Oktober 2010 erschienenen „Bootleg Series“. Zwar keinerlei Fotos, jedoch diverse Lyrics-Strophen mit Würdigungen der literarischen Kniffe. Alles für 15 Euro, im Wiederverkaufs-Nethandel, falls dort greifbar, schon mal für nur 4 Euro: Das ist wahrlich kein schlechter Deal.

Schaut man sich dann im Internet um, wird man merken, dass dieses Buch auf Verwunderung, Zurückhaltung, ja, Ablehnung gestoßen ist. Es handele sich bei Weitem nicht um das Beste über Bob Dylan. Natürlich. Die Namen der Autoren der besseren Monografien lauten vermutlich Robert Shelton, Michael Gray, Greil Marcus, Clinton Heylin, Howard Sounes. Jedes Genie zieht den immergleichen Appendix erklärter Meisterversteher hinter sich drein. Was bei Egan nicht gemocht wurde, ist die irrige Erwartungshaltung, die sein Untertitel „The fullest ever anthology of writing about rock’s greatest poet“ schürt. Der Versuch, das Buch als Rekord-Buch zu vermarkten, geht ganz fehl. Es setzt sich nämlich vor allem aus einer Reihe kompetenter Plattenrezensionen zusammen. Und diese sind ausnahmslos von Sean Egan, nicht von einer versammelten Elite der Rockmusik-Schreiber. Dazwischen geschobene Aufsätze, jeweils Gesamtschau einer künstlerischen Ära von Dylans brüchereicher Stilistik, sind hin und wieder ebenfalls von Egan, manchmal jedoch schmerzhaft kurz, andere zwar ausführlich und von berühmten Autoren, waren in älteren Textsammlungen aber schon greifbar. Von Gray, von Marcus oder ein Essay des Amerikaners Richie Unterberger (bekannt von der Website AllMusic) über Dylans Ausstieg aus Folk und Protest in der Zeit seines „Mr. Tambourine Man“.

Eigentlicher Stein zum Anstoß der Kritiker - und vermutlich auch Grund, warum dieses schöne Taschenbuch nie ins Deutsche übertragen wurde, anders als Egans Titel zu den Stones, David Bowie oder den James-Bond-Filmen - ist, dass die Abnehmerschaft für ein 500-Seiten-Kompendium zum Texter, Sänger und Performer Bob Dylan, über seine quecksilbrige. in Jahrzehnten manchmal auch arg zwiespältige und umstrittene Pop-Potenz und -Präsenz, nicht aus irgendwem oder den Lady-Gaga- oder zwanzigjährigen Neu-Fans besteht, sondern aus dem Millionenheer der ergrauten Getreuen, die schon lang alles wissen, es so, wie sie es schon kennen, jetzt noch einmal lesen wollen. Dylan als Gott, der den Ministranten gehört. Sean Egan als einer, der sich wie der Fremde in der Stadt aufführt. Er hat Fehler bei David Bowie analysiert, warum soll er jetzt nicht die von Dylan beim Namen nennen? So, wie er das versteht. Die Fans rufen: „Weil du ihn ja nicht liebst! Wer Dylan nicht liebt, soll ihn bitte nicht kritisieren!“

Exakt diese, für die Biografie eines populären Megastars nicht ganz erwartbare Perspektive hat mir Sean Egans Buch zur Freude gemacht. Nie ist man sich da sicher, ob nicht wieder auf der nächsten Seite eine Vokabel wie „pathetic“, „embarrassing“, „boring“, „shameful“, „distasteful“, „self pity“, „banality“, „out of tune“, „hateful invectives“, „befuddling“ aufhüpft, weil Egan etwas, obwohl von einem an sich ja Grandiosen wie Dylan, seit dreißig Jahren einfach nur Mist findet, sich nie damit abgegeben hat, eine geduldige Fanperspektive, aus der man es doch noch rechtfertigen könnte, zu entwickeln.

Egans Abwertung ungeglückter Versuche dieses laufend alles Versuchenden erreicht eine Lässigkeit, die man leichtsinnig nennen könnte. Die bei jedem Wiedersehen doch auch wieder bezaubernden LP-Covergemälde von „Music from Big Pink“ (The Band), „Self Portrait“, „Planet Waves“ haben mit den Jahren ihre frische Sperrigkeit bewiesen. Egan räumt das eilig beiseite: „ghastly“. Für den gesamten Streitfall „Self Portrait“, den eine weitere Folge der Bootleg Series uns inzwischen überdenken ließ, zeigt Egan sich halsstarrig. „Self Portrait“ sei - das stimmt sogar, geht an den Meriten des Albums jedoch vorbei - ein respektvolles, handwerklich aber nicht überragendes Hinterhermusizieren mit nie erstklassigem Songmaterial, ein Nachahmen durch einen Künstler, der selbst zweifelsfrei schon belegt hat, dass er größeres Originalmaterial produzieren könnte. Eine ironische Nutzlosigkeit sei „Self Portrait“. „Days of ‘49“, „Copper Kettle“, „Early Mornin‘ Rain“, man mag sie Kinkerlitzchen finden, aber bis zum jetzigen Tag sind mir von keinem anderen Performer Aufnahmen zu Gehör gekommen, die sie näher ans Herz bringen als die Dylans! (Dies auch der Unterschied zum Greisen-Spätwerk. Von „On A Little Street in Singapore“ lassen sich ganz gewiss gültigere Versionen aus den Kehlen von Bing Crosby, Frank Sinatra, The Manhattan Transfer oder Martin Denny finden. Dass Dylan seinen künstlerischen Zerfall selbstironisch verjuxen kann, ist nicht unbedingt unverzichtbar für die übrige Welt der Unterhaltungsmusik.)

Bis hier kam Sean Egan im Jahr 2011 noch nicht. Aber, entgegen der Egan-Schelte von Dylanliebhabern im Net, er entdeckt sehr wohl auch noch eine Reihe guter Seiten an den Liedern des 21. Jahrhunderts, nach dem, von ihm „grandios“ genannten, „Time Out Off Mind“.

„The Mammoth Book of Dylan“ ist keineswegs ein hämisches Buch für die Dylan-Hasser. Es taugt nicht dazu, als Außenstehender sich über des „hergelaufenen Judenbengels“ (Martin Walser, wohl hemdsärmelig verschmitzt, nicht böse gemeint) Unfähigkeit zu Gesang und Mundharmonika zu belustigen, ist nicht Bloßstellung und Anklage wie einst Albert Goldmans Biografie von John Lennon. Gelegentliche Überlängen von Songs, das vielfache Fehlen melodisch reizvoller Bridgepartien, Dylans immer schon existierende Gewissenlosigkeit von Liebe und Diebstahl aus seinem enzyklopädischen Wissen über angelsächsische Volkslieder, Dylans lachhafte Jung-gebliebener-Superstar-Maskerade (à la Jagger) in den Achtzigern, die Peinlichkeit und Aggressivität der christlichen Missionierungslieder jener schlimmen drei Alben, Dylans oft Pascha-haftes Verhalten gegenüber Frauen („Babe“): Sean Egan erspart ihm und uns nicht, das in unmissverständlichen Worten auch zu sagen.

Dass „Bringing It All Back Home“, „Highway 61 Revisited“, „Blonde On Blonde“ als die glorreichsten Werke Bestand haben, Edelsteine des 20. Jahrhunderts, dann, eine Stufe weiter unten, „Blood On The Tracks“ (Egan mag die ursprünglichen New Yorker Studioversionen mehr als die in letzter Minute eingespielten Minnesota-Stücke), noch etwas tiefer „Time Out Off Mind“, es überrascht nicht und dürfte Konsens sein. Für Egan ist „Highway 61“ das Coolste überhaupt. Den Widerwillen der Alt-Fans zieht er auf sich, wenn er schreibt, an „Blonde On Blonde“ sei irgendwas faul, obwohl es genial sei. Im Gegensatz zu mir wird Egans Ansatz nicht mögen, wer sich ärgert, wenn man „Sad Eyes of The Lowlands“ Ermüdungsqualität attestiert, „Visions of Johanna“ hingegen für ein unfassbares, geradezu verstörendes Kunstwerk ansieht, dann aber „Most Likely You Go Your Way And I‘ll Go Mine“ eher nervtötend findet, sobald man es in- und auswendig kennt und doch immer weiter anhören muss. (In Konzerten hat es Dylan oft gespielt, auf Samplern war es drauf.)

Die Rolle eines exemplarischen Werkzitats soll ein Absatz aus der Analyse des frühen Albums „The Freewheelin‘ Dylan“ (mit Mädchen und VW-Bus) einnehmen. Wie ich finde, schafft Sam Egan es, mit wenigen Worten die Essenz auf den Punkt zu bringen. Was war da dran, das in jener damaligen Vor-Rock-Ära, in einer so vielfältigen Musikkultur wie der Amerikas, an einem derart unauthentischen Bürschlein wie dem berufslosen Sohn eines Haushaltsgerätehandlung-Besitzers von knapp vor der kanadischen Grenze, das ihn zum Sprecher einer ganzen Generation machte, auch in der Rückschau nach mehr als 50 Jahren immer noch gültiger ist als nahezu alles andere, was die anderen in den sechziger Jahren geschrieben und aufgeführt haben? Wie er dieses Album trifft, trifft Sam Egan alle, es macht sein Buch zur Errungenschaft.

Zitat:

In 1963, it was a huge blast of fresh air: young and vibrant when society and culture was usually middle-aged and staid, irreverent when that was uncommon, informal (right down to the artfully ped title “g”) when that was synonymous with radial/degenerate, risqué when open sexuality was frowned on and unremitting in its condemnation of the faults of society when that society was still presented to itself in chocolate-box terms. If it was occasionally sexist, it was also in places highly tender. The combination of Freewheelin’ unveiling a major talent and it encapsulating the concerns and vernacular of a new age caused Bob Dylan to enjoy that special moment that happens to a few songwriters in history when the world perceives them to have their finger on the pulse both aesthetically and sociologically.


[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2016-09-23)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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