Matthias Dusini - Hotel Paradiso. Mit der Bahn zu 13 besonderen Orten in Mitteleuropa.
Buchinformation
Im 20. Jahrhundert gab es in Mitteleuropa einige Versuche, Utopien zu verwirklichen. Lebensreformer, Unternehmer, Künstler und Ingenieure versuchten, eine Gegenwelt aufzubauen, die nicht nur im Kopf existierte. Einige dieser realen Orte, die sowohl Rückzug als auch Beschleunigung bedeuten können, haben sich bis heute erhalten und der Kunstkritiker und Feuilleton-Chef der Wiener Wochenzeitung FALTER stellt 13 dieser Orte in vorliegender Publikation vor.
Reisen in versunkene Welten
Nach Turin, an den Lago Maggiore, ins Burgenland oder nach Zlin, aber auch in die italienische Schweiz, Südtirol und Ostösterreich bis nach Tschechien führt uns dieser literarische Reiseführer und alle diese Reiseziele sind auch mit dem Zug erreichbar. In Torviscosa, 23km von Grad entfernt, entstand Anfang des vergangenen Jahrhunderts eine agrarindustrielle Utopie, eine sog. Company town. Wie der Name schon sagt, wurde hier Viskose (auch Rayon) erzeugt. Aber das Besondere lag an der Trennung von Arbeit, Wohnen und Freizeit. Die Automatisierung und die Entpolitisierung des Proletariats durch Konsum und Kultur wurde hier ausprobiert und erregte scharfe Kritik der Situationisten. Ein anderer der 13 beschriebenen Orte ist der sagenumwobene Monte Verità, der bei vielen Utopisten heute noch Emotionen auslöst, war er doch einer der Kommunen, die die Abkehr von der Gesellschaft probte. Die Reformbewegung in Ascona beim Lago Maggiore war eine individualistische Cooperative, wo sich Anarchisten, Dadaisten und Esoteriker, Nudisten und Feministen sowie Veganer und Schamanen auf einem Haufen versammelten. Einer davon war auch Hermann Hesse. In die unmittelbare Nachbarschaft Wiens führt auch der Beitrag zum „versunkenen Reich der Liechtensteins“. Lednice und Valtice im heutigen Mähren waren die Residenzen des Adelsgeschlechts, das heute nur mehr Liechtenstein regiert. Bis 1938 gehörte es dem Fürsten. Heute kommen jährlich 400.000 Besucherinnen und Besucher, die rund zwei Millionen Euro dortlassen. Das freut natürlich die heutige Direktorin von Lednice, Ivana Holaskova. Das größte Glashaus der Welt, Parks mit einzigartigen Bäumen und ein Apollotempel schmücken den tschechischen Landschaftspark und machen ihn zu einem Naherholungsgebiet für Wiener und Prager gleichermaßen.
Weitere Kapitel beschäftigen sich mit Saxen, Varese, Semmering, Rivoli, Briol, Kamptal, Friedrichshof und Rijeka. Jedes Kapitel ist reich in Farbe bebildert und zeigt auch historische Dokumente und beinhaltet auch Interviews mit Zeitzeugen. Im Anhang befindet sich ein Register. Insgesamt ein verdienstvoller Beitrag zur Sichtbarmachung von Utopien und Projekten, die als solche begannen und manchmal vielleicht in Irrtümern endeten. Interessant geschrieben und gut recherchiert.
Matthias Dusini
Hotel Paradiso
Mit der Bahn zu 13 besonderen Orten in Mitteleuropa. Ein Reiseführer
2021, 256 Seiten
Falter Verlag
ISBN: 9783854396628
€ 29,90
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2021-07-10)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.