Wien in der Donau oder an der Donau? Wer sich Karten des Verlaufes der Donau vor der historischen Begradigung 1875 ansieht, dem werden bald Zweifel über die richtige Präposition aufkommen. Ein besonders anschaulicher Bericht einer Überschwemmung Wiens durch die Donau aus dem Jahre 1830 zeigt die drastischen Auswirkungen: 74 Menschen starben, 68 Gebäude wurden schwer beschädigt, die Taborbrücke lag in Trümmern. Zentnerschwere Eisbrocken hätten sich in „zerstörerische Geschosse“ – so die Autorin – verwandelt. 1862 folgte eine weitere Katastrophe und endlich bestellte der Kaiser eine Donauregulierungskommission, die 1866 erstmals tagte. Weitere vier Jahre später, 1870, präsentierte diese Kommission ihre ersten Ergebnisse: Alle Arme der Donau sollten zusammengelegt und zwischen Kuchelau und Fischamend in einem geraden Strombett fließen, als einziger Seitenarm blieb der Donaukanal erhalten. Fünf Jahre lang arbeitete man dann an den 13km langen Durchstich und bewegte zwölf Millionen Kubikmeter (!) Erde. So entstanden schließlich in der Nacht vom 15. Auf den 16. April 1875 die Neue und die Alte Donau.
Die ideale Sommerfrische in der Stadt
Dass dies für manche armen Leute auch ein soziales Drama bedeutete, vergisst Judith Duller-Mayrhofer nicht zu erwähnen. Viele Betriebe wie Färbereien, Mühlen und Werften siedelten sich einst an der Alten Donau an und wurden durch die Begradigung vor neue Herausforderungen gestellt. Der Artenreichtum der Fisch- und Pflanzenwelt litt wohl etwas, aber unleugbar bleibt wohl der Effekt des Erholungsfaktors des in den 1870ern durch die Donauregulierung entstandenen „Paradieses and der Peripherie“. Solche Paradiese zogen seit jeher auch immer wieder viele Aussteiger und Zivilisationskritiker auf den Plan. Die Geschichte der Insel, die einst Weideplatz für Gänse war, zeigt auch so illustre Gestalten wie den immer nahtlos gebräunten, langhaarigen Florian Berndl, der ein Stück der Insel pachtete und dort Sandbäder anbot; bis die Stadt 1907 selbst das „Strandbad der Comune Wien am Gänsehäufel“ eröffnete. Berndl, der einstige Naturliebhaber und Prophet starb in einer städtischen Irrenanstalt, man hatte dem Heilkundler übel mitgespielt, wie auch die Autorin zu erzählen weiß. Aus Mangels einer Lizenz für seine Produkte wurde er des Gebietes verwiesen.
Das Buch zum Sommer in Wien
An der Alten Donau liegt sogar die Wiege des österreichischen Segelsports. Was angesichts des Wasserreichtums Österreichs tatsächlich seltsam anmutet und von Judith Duller-Mayrhofer, der Redakteurin der Yachtrevue, mehrmals betont wird, ist die kleine Anekdote über den Briten Edward Drory, der 1886 den Yacht Club gründete, weil er sich in seinem Job als Betriebsleiter der englischen Gaswerke in Wien langweilte. Die Seglerei, der Tauch- und Schwimmsport, die Kabanen im Gänsehäufel, kulinarische Hotspots und Hochhäuser sowie Schrebergartensiedlungen namens Neu-Brasilien zeigen die Vielfalt des von Duller-Mayrhofer beschriebenen Biotops, das es so wohl nur in Wien geben kann. Zahlreiche S/W Fotografien zeigen die Geschichte der Alten Donau auch in Bildern und zeigen, dass man sie selbst im Winter nutzen kann: nämlich als größten Wiener Eislaufplatz. Wer von Sonne, Strand und Meer träumt, kann dies auch ein kleines bisschen an der Alten Donau verwirklichen. Judith Duller-Mayrhofers liebevoll gestaltetes Brevier zeigt, auf welchen historischen Grundlagen man sich hier ausruht und dass das alles schon eine ziemlich lange Tradition hat. Es ist doch beruhigend zu wissen, dass diese Wiener Tradition auch nach der Krise Mitte der Neunziger weiterleben kann. Das Wasser hat heute wieder Trinkqualität, keine Angst also mehr vorm Ertrinken: die Sichttiefe beträgt vier Meter.
Judith Duller-Mayrhofer
Die Alte Donau - Auf Sommerfrische in der Stadt
96 Seiten, 11 x 20,5 cm
Mit zahlreichen Abbildungen
Gebunden € 12,– ISBN: 978-3-99300-804-8
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2012-08-08)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.