Dass die Achtziger früher oder später ein Revival erleben würden, war schon klar, als das komplette Jahrzehnt nach dem Fall der Mauer in den ehemaligen Ostblock exportiert wurde. Bei Hits der Neuen Deutschen Welle, des New Wave oder Punk wurde die neue Freiheit gefeiert und schließlich wieder zurück in ihre Ursprungslänger /ire-exportiert, ein klassisches Beispiel für imperialen Kulturtransfer, könnte man meinen. „The eighties are back!"/i heißt auch das Motto dieser Publikation des Falter Verlages, das sich besonders der österreichischen Szene widmet, die sich durch ihre exponierte Lage an der Peripherie des westlichen Bündnissystems ja in einer besonders prekären – und deswegen umso tanzbareren – Lage befand: „Tanz deinen Untergang“ war eine beliebte Pose, wenn es darum ging den damaligen Zeitgeist möglichst authentisch zu verkörpern und gänzlich auf künftige positive Zukunftsperspektiven zu verzichten. Da die beiden Blöcke sich in direkter Konfrontation befanden und der Ausbruch eines Atomkrieges nur mehr eine Frage der Zeit schien, ließ es sich gerade in Wien besonders gut auf die Zukunft scheißen.
Future is: Vienna Calling
Aber natürlich war es für viele - oder zumindest die, die damalige No Future Einstellung überlebten - tatsächlich nur eine Pose und dem einen oder anderen mag es durchaus auch darum gegangen sein mit diesen nihilistischen Gesten des Zeitgeistes Geld zu verdienen und berühmt zu werden. Das soll aber natürlich hier auch niemandem verübelt werden, schließlich ist es das Recht von jedem, überleben zu wollen und einen möglichst angenehmen Weg zu finden, dies zu ermöglichen. Die vorliegende Publikation dokumentiert eine Aufbruchsstimmung, die sowohl „analytisch als auch immer wieder ironisch“ sein will und sich als „Liebeserklärung an Wien“ versteht, aber keinesfalls als eine Abrechnung. Das DIY (do it yourself) der Punkbewegung brachte einen Kreativitätsboom der so interessante Bewegungen zeitigte wie etwa den New Wave, Punk oder die Neue Deutsche Welle; aber auch Schoko, Ring und Reiss-Bar; Wilde Malerei und Galerienboom; Minisex und Blümchen Blau; Stadtfeste und Hainburg; Flip-Sakkos und Bleistiftabsätze; postmodernes Denken und Caorle am Karlsplatz.
Überlebensstrategie Vienna calling
Peter Weibel, damals schon dabei und heute Künstler und Medientheoretiker, sieht in den Achtzigern nicht nur eine Ära der Restauration, sondern vor allem auch der „Subversion, des Widerstands und der Verachtung des Konsums“. „Einen kulturellen Höhepunkt der Zweiten Republik“ nennt Weibel folgerichtig die Achtziger und eröffnet damit einen Reigen von Geständnissen und Eindrücken anderer österreichischer Zeitzeugen der „schnellen Jahre“ zwischen 1978-1985. Eine Jugend auf der Suche nach Identität bereitete Wien damals auf das vor, was die Stadt inzwischen tatsächlich geworden ist: eine schillernde Donaumetropole mit internationalem Charakter. Damals war das allerdings noch etwas anders, denn die periphere Lage sorgte tatsächlich für einen Mief, der nur schwer aus der Stadt wegzukriegen war. Dafür brauchte es eine Menge „Volunteers“ und radikale Ideen (wie etwa jene des Wiener Aktionismus) um die Stadt mal so richtig durchzulüften und endlich den Anschluss an andere Metropolen Europas zu schaffen. Für die vorliegende Publikation wurde nicht nur eine breite Auswahl an Zeitzeugen interviewt, sondern auch eine Menge Dokumentationsmaterial zusammengetragen, das die damalige doch so schwarz/weiße Welt heute – im Rückblick im Ohrensessel - ganz schön bunt erscheinen lässt. Ein interessantes Nachschlagewerk über die damalige Wiener Szene und sicherlich interessanter Beitrag über die (Selbst-)Darstellung der Achtziger Jahre am Rande der westlichen Zivilisation. Eine Pflichtlektüre nicht nur für die BewohnerInnen der Stadt.
Martin W. Drexler (Hg.), Markus Eiblmayr(Hg.), Franziska Maderthaner (Hg.)
Idealzone Wien. Die schnellen Jahre (1978-1985)
2016 Falter Verlag, 292 Seiten
ISBN: 9783854395775
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2016-12-21)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.