Sepp Dreissinger fotografierte Bernhard (vom Ende der siebziger Jahre an) immer wieder einmal. Es entstanden Bernhard-Bildbände. Einige kleine Porträtaufnahmen hat er in diesen Band eingerückt, die Hauptsache sind sie nicht. Man darf ein wenig misstrauisch sein. Es ist klar, mit so einem Abstand zum Tod des Unvergessenen und angesichts des rasant sich Bahn brechenden Geniekultes (Lektor Fellinger: „Ich glaube, Bernhard wird eines Tages in der Welt für die deutsche Literatur dieselbe Stellung einnehmen, wie es Hermann Hesse vor ihm getan hat, bei Hesse sind es jetzt ungefähr 90 Sprachen, in die er übersetzt worden ist, bei Bernhard auch schon 55“) sind nicht die ungeschminktesten, eher die netten Memoiren zu erwarten. Verdienstvoll ist das Buch aber in jedem Fall. Sepp Dreissinger stellt die klassische Frage „Erzählen Sie doch mal, wie war der so?“ an eine Generation, die er in den Jahren bis 2010 gerade noch bei körperlicher und geistiger Frische treffen konnte. Etliche der Befragten sind ja deutlich älter Bernhard gewesen, 1931 geboren, Anfang 1989 verstorben, dieses Werk zelebriert den achtzigsten Geburtstag. Von den Alten habe er stets gelernt und profitiert, hatte er gesagt. In seiner Art muss Dreissingers Unternehmung einmalig bleiben, biologisch ist sie jetzt undurchführbar geworden.
Ich greife absichtlich eine ziemlich unfreundliche Beschreibung von Bernhards privatem Sozialgebaren heraus, um zu zeigen, dass tatsächlich nicht alle Zeugen denjenigen, den man zu Lebzeiten „Scheusal“, „Stänkerer“ und „geldgierig“ genannt hat, zwanzig Jahre danach zum Heiligen verklären. Wolfgang Pauser, Philosoph, Unternehmenskulturberater, Universitätsdozent, hat Phasen seiner Jugend am Traunsee, also in der Nähe von Bernhards oberösterreichischem Vierkantbauernhof Obernathal, verlebt. Pausers Vater, ein Maler, gehörte zum kleinen Zirkel Zugezogener, eigentlich Wiener Gut- und Bildungsbürger, in den der Autor streckenweise sich fast täglich begab, wenn er in öffentlichen Äußerungen auch darauf abhob, wie menschenfeindlich und isoliert er wäre.
Charakteristisch für jenen Zirkel, von dem der einheimische „Männerfreund“ Hennetmair, als bauernschlauer Typ fürs Lebenspraktische, sich deutlich abhob, ist gewesen, dass Thomas Bernhard hier der Freund der Damenwelt war, angeschwärmter Hahn im Korb. Seine sexuelle Unzugänglichkeit gepaart mit umwerfendem Charme gegenüber Frauen, die ihm nützlich sein konnten, ist notorisch. Hartnäckig halten sich Gerüchte über verdrängte Homosexualität. (Darüber gibt es im Buch des Fotografen Dreissinger allerdings nichts Neues zu erfahren.) Mehr als über Frau Pauser pflegte Bernhard sich der schmachtenden Zudringlichkeit der Ehefrau des Parlamentspräsidenten, Gerda Maleta, und der Gattin des Wiener Architekten Hufnagl wegen zu beklagen, nützte sie allerdings weidlich auch aus. Von hier begreift man, dass Wolfgang Pauser, dessen Mutter sich außerehelich, aussichtslos und lächerlich in einen Dichter verknallt hatte, nach wie vor in Distanz zu diesem Egozentriker verbleibt. Die Pausers zogen nach Wien zurück, der Vater starb, der Kontakt ging weiter, da ja Bernhards „Lebensmensch“, seine Ersatzmutter Hedwig Stavianicek (vor ihm verstorben, da viel älter), dort ihren Wohnsitz hatte. Pauser erinnert sich des Erfolgreichen als Vorbild - „im negativen Sinne“!
Zitat:
Die Beziehung zwischen uns war stets von Sympathie getragen, aber sicherlich keine persönliche, weil das mit ihm prinzipiell nicht möglich war. Er konnte Gespräche von Mensch zu Mensch einfach nicht führen, was ich aus meinen Beobachtungen schließen konnte. Ich erinnere mich zwar an ein klares Bild von Thomas Bernhard, aber er war immer gleich, daher die Schwierigkeit beim Erinnern. Er hat sich nur in einem unernsten Sprachgestus mit Mitmenschen aufhalten können, stetiges Monologisieren und ständige Sprachwitze. Die Lacheffekte hatten keine schwerwiegende Bedeutung, sondern bestanden in banalsten Dingen, die auftauchten und aufgegriffen wurden. Den einfachsten Dingen wurde Situationskomik in brillanter Technik abgerungen und daher konnte er ganze Runden von Menschen unterhalten. (...) Einen problematischeren Menschen kann man sich gar nicht vorstellen. (...) Er war nicht nur beziehungsunfähig, sondern er war nicht einmal zu einem Dialog fähig.
Die Beziehung zwischen uns war stets von Sympathie getragen, aber sicherlich keine persönliche, weil das mit ihm prinzipiell nicht möglich war. Er konnte Gespräche von Mensch zu Mensch einfach nicht führen, was ich aus meinen Beobachtungen schließen konnte. Ich erinnere mich zwar an ein klares Bild von Thomas Bernhard, aber er war immer gleich, daher die Schwierigkeit beim Erinnern. Er hat sich nur in einem unernsten Sprachgestus mit Mitmenschen aufhalten können, stetiges Monologisieren und ständige Sprachwitze. Die Lacheffekte hatten keine schwerwiegende Bedeutung, sondern bestanden in banalsten Dingen, die auftauchten und aufgegriffen wurden. Den einfachsten Dingen wurde Situationskomik in brillanter Technik abgerungen und daher konnte er ganze Runden von Menschen unterhalten. (...) Einen problematischeren Menschen kann man sich gar nicht vorstellen. (...) Er war nicht nur beziehungsunfähig, sondern er war nicht einmal zu einem Dialog fähig.
[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2016-09-13)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.