„Sandbergs Liebe“ ist der mittlerweile dritte Roman des Redakteurs und Autors Jan Drees. In diesem Roman verarbeitet er eigene Erfahrungen mit einem Phänomen, das nicht zuletzt durch die zahlreichen Datingsapps, mit denen zunehmend mehr Beziehungen zwischen Frauen und Männern angebahnt werden, in vielen Fällen zu einem ernsten Problem für einen der Beteiligten wird. In dem Roman geht es um die Zerstörungskraft einer manipulativen Beziehung. Es ist eine Missbrauchsform, die darauf abzielt, die Wahrnehmung eines anderen Menschen, des angeblichen Partners so lange anzugreifen und zu attackieren, bis dieser am Boden liegt.
Es gibt für diese Missbrauchsform einen englischsprachigen Begriff: „Gaslighting“, in Anlehnung an das Theaterstück von Patrick Hamilton aus dem Jahr 1938, in dem ein Ehemann versucht, seine Gattin in den Wahnsinn zu treiben. Um dieses Ziel zu erreichen manipuliert er beispielsweise die Gaslampen des Hauses und lässt sie flackern. Von seiner Frau auf dieses Flackern angesprochen behauptet er, sie täusche sich.
Ein Mensch, dem permanent von einem anderen, dessen Liebe er sich doch sicher glaubt, eingeredet wird, dass das, was er wahrnimmt, nicht real sei, wird nach anfänglicher Unsicherheit in echte Verzweiflung stürzen.
So geht es auch dem Ich-Erzähler des Romans, Kristian Sandberg. Er ist ein durchaus begabter junger Geisteswissenschaftler, wohnt in Bremen und erhält die ersehnte Stelle bei einer Literaturagentur in Hamburg. Walter Diercks, sein neuer Chef, hat die Agentur gerade gegründet, nachdem er lange Jahre erfolgreich in einem großen Verlag als Lektor gearbeitet hat. Sandbergs Einstiegsgehalt ist gut, seine Aufstiegschancen auch, und so steht einem perfekten Start ins Berufsleben nichts entgegen. Das Pendeln zwischen Hamburg und Bremen scheint gut machbar.
Doch eines fehlt dem jungen Mann noch zu seinem Glück. Mit seinen bisherigen Beziehungen hatte er kein Glück, doch er träumt von einer festen Beziehung, ist auch offen für eine Familiengründung. Einsam und besonders in den Nächten regelrecht verloren, nutzt er Dating-Apps in der Hoffnung, endlich genau jener Frau zu begegnen, die ihn glücklich macht und beschützt. Ideale Voraussetzungen bringt er so mit, für das, was ihm dann in den nächsten Monaten geschieht.
Als er eines Abends nach der Arbeit auf der Außenterrasse eines Hamburger Cafes sitzt, blinkt sein Handy. Die App „Once“ hat ihn mit einer Frau „gematcht“. Alles scheint perfekt zu passen. Schon wenig später trifft er sich zum ersten Mal mit Kalina Mickiewicz, einer in einer süddänischen Kleinstadt arbeitenden Zahnärztin. Sehr schnell beginnt eine romantische Beziehung. Die Zärtlichkeit und die sexuelle Intensität der ersten Begegnungen lassen Sandberg hoffen, in Kalina tatsächlich de Frau seines Lebens gefunden zu haben.
Bald schon gibt es erste, auch den Leser verwirrende und verstörende Irritationen, die Sandberg zunächst nicht ernst nimmt. Schon hier habe mich beim Lesen oft gefragt, wie er es bei den vielen Treffen, den durchgemachten Nächten und dem ausufernden Mailverkehr schafft, seinen neuen Job zu machen. Auch die Frage, wie er den zunehmend aufwändigen Lebensstil mit einem Agenturgehalt finanziert, blieb für mich offen.
Aus den Irritationen wird innerhalb weniger Wochen eine immer stärkere emotionale Abhängigkeit zu seiner Geliebten. Zunächst denkt der Leser so wie Sandberg selbst, er habe Dinge falsch gemacht oder sich nicht richtig ausgedrückt, und Kalina sei zu Recht empört über ihn. Doch schon bald weicht dieser Eindruck beim Leser dem Gefühl der Wut und Entrüstung über den zunehmenden Missbrauch, den Sandberg aber in seiner abhängigen Verliebtheit nicht wahrnehmen kann und will.
Die zu Beginn romantisch und euphorisch erlebte Beziehung entpuppt sich immer mehr zu einer Höllenfahrt in die Abgründe des emotionalen Missbrauchs. Wie all das für Kristian Sandberg ausgeht, bleibt offen, auch ob er sich jemals davon erholen wird.
Jan Drees hat, indem er sich selbst und seinen Lesern mit beinahe protokollarischer Genauigkeit und psychologischem Tiefgang vor Augen führt, wie Manipulation das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung zerstören und infolgedessen die Psyche eines Menschen in ihren Grundfesten erschüttern kann, sich selbst von einer solchen Erfahrung befreit.
Wenn man den einschlägigen Beschreibungen im Internet Glauben schenkt, scheint diese als „gaslighting“ bezeichnete Form des Missbrauchs nicht nur ähnlich häufig wie andere Missbrauchsformen geworden zu sein, sondern auch ähnliche lange nachwirkende Folgen für die Vertrauensbildung in späteren Beziehungen zu haben.
Ein intensiver, wichtiger Roman, der jedem unter die Haut geht, der in früheren Beziehungen auch nur in Ansätzen solche Formen der emotionalen Manipulation erlebt hat. Anderen sei er eine Warnung.
Jan Drees, Sandbergs Liebe, Secession Verlag 2019, ISBN 978-3-906910-49-9
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2019-01-23)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.