Helena kommt von „dort", jenem für die Überlebenden unaussprechlichen Ort mit dem deutschen Namen Buchenwald. Sie hat das Vernichtungslager überlebt und ist unter großen Anstrengungen nach Israel gekommen. Hier ähnelt ihre Geschichte der von Aharon Appelfeld („Geschichte eines Lebens" - 2005).
In Israel bekommt sie 1953 eine Tochter und gibt ihr den Namen Elisabeth. Und diese Elisabeth wird genau 45 Jahre später - Helena ist schon 8 Jahre tot - ihre Geschichte aufschreiben und sie veröffentlichen.
Lizzie Doron erzählt von ihrer Mutter in kleinen, zwischen 6 und 10 Seiten umfassenden Geschichten, die mit zu der dichtesten Literatur gehören, die ich je gelesen habe. In diesen Prosaminiaturen berichtet sie in einer wunderbaren, von Mirjam Pressler sehr sensibel ins Deutsche übersetzten Sprache von den Erfahrungen ihrer Mutter. Immer wieder will Helena, die von ihrer Umwelt auf den ersten Blick für verrückt gehalten wird, erzählen von dem, was sie im Lager erlebt hat. Und sie drückt es auf seltsam-eigenartig tiefgehende und die Seelen ihrer Mitmenschen ergreifende Art und Weise aus.
Während die Literatur der Überlebenden der Shoah in den letzten Jahren wieder eine Renaissance erlebt (vgl. die Bücher von Appelfeld), sind Bücher, die von der zweiten Generation geschrieben wurden, den Söhnen und Töchtern der Überlebenden, eher selten. „Warum bist du nicht vor dem Krieg gekommen" zählt sicher zu den besten von allen.
Inzwischen zählt es zu dem für israelische Schulen empfohlenen Lektürekanon.
Hat man dieses Buch einmal in die Hand genommen, legt man es nicht mehr weg bis zur letzten Seite. Es ist ein Buch voller Witz und Trauer, das in wenigen Worten etwas begreiflich machen kann vom Überleben „trotz allem".
Lizzie Doron, Warum bist du nicht vor dem Krieg gekommen, DTV 2017, ISBN 978-3-423-14545-9
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2017-02-01)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.