„Tu was für mich, bedeutete ich ihm, ich bin ein poète maudit“, stammelt Zorg, als die Häscher kommen, um ihm nach langer Zeit, in der er sich in Sicherheit wiegen konnte, endlich das Handwerk legen. Er hatte sich als Frau verkleidet und eine Bank überfallen und als es in seinem Leben endlich wieder beginnt aufwärts zu gehen, kommen sie und holen ihn. Doch auch hier führt die Liebe Regie und Zorg kommt noch einmal mit einem blauen Auge davon. Was so selbstironisch daherkommt ist nämlich in Wahrheit Verbitterung, denn Zorg hat den Albtraum seines Lebens hinter sich. Dabei fing alles so harmlos an.
Erste Anzeichen
Betty und der Ich-Erzähler, Zorg, lebten gemütlich in einem Strandhäuschen und hatten eigentlich nichts zu tun, außer ab und zu mal bei den anderen Bungalows nach dem Rechten zu sehen. Doch dann kam der Landlord und legte sich mit Betty an, sie sollten die Häuser alle anmalen, aber Betty fackelte sie kurzerhand ab. Es blieb ihnen also nichts als die Flucht und erst einmal finden sie Unterschlupf bei Betty’s Schwester. Schon der Auftakt ihrer Beziehung hätte Zorg eigentlich zu denken geben sollen, denn er hatte so ein schönes Leben, bevor die Liebe Regie führte und sie zusammenführte. Weitere Anzeichen häufen sich, etwa, dass sie seine Crepes kurzerhand in die Spüle kippt, weil sie nicht fett werden will und Zorgs Magen so laut knurrt, dass es sogar Wölfe vertrieben hätte.
Drei, zwei, ein…Auge?
„Stil zu haben, heißt aufzuhören, bevor’s zu viel wird“, sagt Zorg an einer Stelle des Romans und er hätte besser getan, auf sich selbst zu hören. Doch wer handelt nicht die meiste Zeit wider sein eigenes besseres Wissen? Eben! „Ich fragte mich, ob mit einer Frau zusammenzuleben nicht die schrecklichste Erfahrung war, die ein Mann nur machen konnte, ob das hieß, seine Seele dem Teufel zu vermachen oder sich am Ende das dritte Auge auszuhacken.“ Nun, das dritte Auge wird es zwar dann nicht werden, aber immerhin eines. Im Wahn einer Schwangerschaftspsychose nimmt Betty nämlich eine Autoenukleation bei sich selbst vor und landet in der Psychiatrie. Das Ende der Beziehung zu Betty endet dann mit einer Art Euthanasie im Stile von Ken Kesey’s „Einer flog übers Kuchkucksnest“, vielleicht hat es Djian sogar dort abgeschaut.
“Mikado auf der Matratze“
Das Buch, das 1986 unter dem Titel „Betty Blue-37°2 le matin“ von Jean-Jacques Beineix verfilmt wurde, und neben Béatrice Dalle und Jean-Hugues Anglade castete, wirkt beim Lesen so authentisch, dass es fast nicht zu glauben ist, dass es ja eigentlich nur ein Roman ist. Die coolen Sprüche Zorgs und sprachlichen Bilder Djians täuschen nur oberflächlich darüber hinweg, wie schwer sein Schicksal wirklich ist. Eigentlich ist „Betty Blue“ ja ein Roman über einen Schriftsteller, der einen Roman schreiben will und es nicht schafft, weil er selbst nicht an sich glaubt. Erst Betty entdeckt seine Begabung und ermuntert ihn, aus seinem Leben mehr zu machen, als nur der Installateur oder Klavier-Installateur zu sein als der er sich gibt. Wenn sie beginnt sein Werk abzutippen, beginnt Zorg sich immer mehr von ihr zu lösen, so dass er sie am Ende dann sogar – metaphorische gesprochen - umbringen muss, um selbst zu leben? Der Autor selbst wurde zuerst von vielen Verlagen abgelehnt, bevor er mit seinem Erstling einen Durchbruch hatte. Seither hat er übrigens schon sehr viele Romane geschrieben und die meisten auch erfolgreich verkauft. „Anstelle der Zersplitterung, wähle ich die Konzentration“, schreib er in „Betty Blue“ und „Nicht nachzugeben, das ist gut für die Moral.“
Philippe Djian
Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen
Skandal! Bibliothek
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2013-07-05)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.