Die Liebe zum Jazz trieb die junge Britin früh in die Metropole New York, wo die Adelige aus dem Hause Rothschild den Rest ihres Lebens verbringen sollte. In dunklen Bars und Clubs, aufmerksam den Pionieren eines neuen, über Jahrzehnte diskriminierten Genres lauschend, unsichtbar und dennoch vieles zusammenhaltend. Charlie Parker nahm in ihrer Wohnung Zuflucht, weil er nicht ins Krankenhaus zum Sterben wollte und Thelonious Monk residierte fast ein Jahrzehnt in ihrem berühmten Cathouse, weil es voller Katzen und Jazzmusiker war.
Schon früh begann die Passionata des Jazz, mit einer Polaroidkamera Fotos von denen zu machen, die aus heutiger Sicht fast alle im Pantheon des Jazz ein Zuhause haben. Von den fünfziger bis zu ihrem Tod in den achtziger Jahren blieb sie bei ihrem einfachen wie bestechenden Konzept: Sie fotografierte und fragte die auf Zelluloid gebannten Protagonisten des Jazz nach ihren drei wichtigsten Wünschen. Die Fotos sind allesamt einzigartige Dokumente von Getriebenen einer Idee, die zärtlich an ihren Instrumenten hängen und deren Blicke stets etwas Flüchtiges haben, wie Menschen, die auf einer heißen Spur sind und nicht abgelenkt werden wollen. Nicht unfreundlich gegenüber der Aufnehmenden, aber eben doch etwas ge- oder verstört, weil sie doch so nah dran sind, an der Idee von etwas Neuem, an einer Fährte von etwas Verwegenem oder an dem Anblick eines Abgrunds, der wiederum eine irrwitzige Idee verbirgt. Abgelichtet vom Skript einer alten, hammerschweren Schreibmaschine sind die Wünsche auf vergilbtes Papier geworfen, wo viel von Ruhm, Frieden, der Freiheit von Diskriminierung, von vielem Geld, von Sex und unbändiger Liebe zu lesen ist.
Ob von Thelonious Monk, John Coltrane, Miles Davis, Charles Mingus, Ornette Coleman, Horace Silver, Duke Ellington, Art Blakey, Ben Webster, Cannonball Adderley, Kenny Clarke, Art Pepper oder vielen anderen, Pannonica de Koenigswarter, die bei den Musikern nur Nica, oder the baronesse hieß, sie fragte sie ausnahmslos und erhielt Antworten, die gar nicht mit den Bildern korrespondieren. So sehr die geäußerten Wünsche eine wunderbare und aufschlussreiche Dokumentation darüber geben, wie die sozial meist schlecht gestellten und gesellschaftlich unterprivilegierten Größen des avantgardistischen Jazz dachten und mit welchen Problemen sie täglich zu kämpfen hatten, sie verraten nicht das Geheimnis, das aus den sie flüchtig festhaltenden Fotos spricht. Da sieht niemand so aus, als ginge es ihm exklusiv um Geld oder Sex, um Ruhm oder den Weltfrieden.
Vielmehr drängt sich aus den Körperhaltungen und Physiognomien dieser Giganten der Eindruck auf, als wollten sie nicht abgelenkt werden durch die Misslichkeiten des Alltags von Underdogs, um sich konzentrieren zu können auf die alles entscheidenden Tempi und Tonartfolgen, auf die Klarheit der Töne und die wohl inszenierten Dissonanzen ihrer klangvollen Eroberungen, denen sie hinterher wie voraus eilten, ohne dabei vom Größenwahn getrieben oder elitären Hirngespinsten bestochen zu sein. Dass es einer Frau, die alle Potenziale gehabt hätte, den Trug der Statusorientierung auszuleben und sich aufopferungs- und genussvoll denen hinzugeben, die in einer anderen Dimension lebten, ist vielleicht das Geheimnis von Nicas wunderbarem Erfolg. In mehr als zwanzig Jazztiteln wurde sie verewigt, die große Dramaturgin bloßer Beobachtung, und Nica´s Dream von Horace Silver fängt dieses Geheimnis ebenso subtil wie gefühlvoll ein.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2009-07-21)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.