Der 11. September 2001 hat den Lebensnerv der Weltmetropole New York City aus heiterem Himmel getroffen. Die Attacken auf das World Trade Center waren ein geplanter Schlag gegen die Erfolgssymbolik des Westens. Sie trafen eine Stadt, die wie keine andere in der Welt für Offenheit und kulturelle Konkordanz steht und deren Strahlkraft den Preis oft in den Schatten stellt, den die zu bezahlen haben, die letztendlich reüssieren. Das wurde ihr zum Verhängnis, denn denjenigen, die New York attackierten, fehlte der aufgeklärte Blick, um die Ambivalenz des Erfolgreichen und Großen zu erkennen.
In seinem Roman Falling Man zeichnet Don DeLillo die psychologischen Wirkungen der Anschläge auf die Opfer, ob direkter oder indirekter Art. Eine der Hauptfiguren, Keith, erlebt den Einschlag im Südturm selbst mit, kommt aber mit dem Leben davon und landet unter Schock wie durch eine unsichtbare Hand getrieben bei seiner Frau und seinem kleinen Sohn, von denen er aber getrennt gelebt hat. Wie selbstverständlich nimmt die Frau ihn auf und sie finden in der Disparität des Schocks und seiner Sprachlosigkeit wieder zu sich. Seltsame soziale Fäden spinnen sich durch die Stadt, Keith findet eine ebenfalls betroffene Afroamerikanerin, bei der er einige Male wortlos und in trivialer Erotik verweilt. Lianne, seine Frau, betreut eine Gruppe von Menschen, die gegen ihre stärker werdende Demenz ankämpfen, obwohl sie weiß, dass alle letztendlich unterliegen und in das große Reich der Dunkelheit eintreten werden.
Seit den Anschlägen des 11. Septembers taucht unangekündigt an verschiedenen Stellen New Yorks ein Mann auf, der von einem Hochhaus, einem Gerüst, einer Brücke oder einer Rampe fällt, nur durch einen unelastischen Gurt gesichert, choreographisch nach dem Vorbild eines Opfers, das kopfüber aus einem der Türme sprang. Es handelt sich um den Performancekünstler Falling Man, der das Schockerlebnis kultiviert, ohne sich im Kulturbetrieb dieser Weltmetropole etablieren zu wollen. Die Entsetzensreminiszenzen, die er durch seine Aktionen hervorruft, wiegen schwerer als seine eigene, triviale Todesanzeige, die besagt, dass er starb, 39jährig, an Herzversagen, ohne Kausalität zu seinen spektakulären Aktionen. Das von DeLillo vermeintlich zufällig aufgenommene Gewebe sozialer Beziehungen zerfasert wieder, Lianne hat nur noch Telefonkontakt zu Keith, der als professioneller Pokerspieler tourt und in Las Vegas weilt. Die Kommunikation entbotschaftet sich, alles wirkt zunehmend irreal und das Einzige, was kontinuierlich läuft, sind die Fernsehsendungen, die Baseballspiele und Pferderennen und Werbespots. Die Menschen, die nichts mehr zu sagen haben, verlieren sich in einer tiefen Traurigkeit.
DeLillos Falling Man ist der Versuch, das durch den 11. September entstandene Trauma in seiner Sprachlosigkeit zu verbalisieren, was zwangsläufig scheitern muss. Dieser kluge und virtuose Schriftsteller hat nicht widerstehen können zu sprechen, obwohl das Schweigen weiser gewesen wäre, angesichts des Unsäglichen.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2009-07-29)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.