Ich kenne die Fernsehserie, auf die sich das vorliegende Buch bezieht nicht, und ich werde sie mit Sicherheit auch nicht anschauen, wenn sie bei uns ins Fernsehen kommt. Ich bin mehr so der Typ, der Krimis liest.
Was ich aber sagen kann und will zu diesem Buch, das den Versuch unternimmt, eine Fernsehserie in einen Roman zu fassen (oft ist es ja umgekehrt!) ist, dass ich schon sehr lange keinen Kriminalroman mehr gelesen habe, der neben einer selten erlebten pageturner-Qualität über 800 Seiten einen Spannungsbogen aufbaut, der einen nicht zur Ruhe kommen lässt. Wüsste man nicht, dass das Buch nach 200 Seiten noch gar nicht fertig ist, dann wäre man an dieser Stelle schon völlig überzeugt, den Täter zu kennen. Und so geht das immer weiter, immer neue Spuren und Hinweise tauchen auf, wer wohl für den Tod von Nanna Birk Larsen verantwortlich ist. Jeder einzelne Verdacht, den David Hewson sehr geschickt platziert, ist begründet und plausibel, doch dann ändert sich die Lage, und Kommissarin Lund muss weiter suchen.
Eigentlich sollte sie mit diesem Fall ja gar nichts mehr zu tun haben. Zusammen mit ihrem Sohn und ihrem neuen Mann will sie gerade nach Schweden umziehen, wo sie schon eine neue Stelle bei der dortigen Polizei hat. Doch der Fall, mit dem sie zunächst in den letzten Tagen ihrer Tätigkeit in Kopenhagen zu tun hat, erfasst ihre ganze Person, wie ich es noch nicht einmal bei Mankells Wallander erlebt habe. Und der war schon ein Berserker, der sich selbst am wenigsten schonte, wenn es um die Lösung eines Falles ging.
Lund setzt alles aufs Spiel, ihre Kinder, ihren neuen Partner, ihre Zukunft, bis nach etwa vier Wochen das Rätsel gelöst ist. Und das auf eine völlig überraschende Weise, die der Leser all die 800 Seiten nicht für möglich gehalten hätte.
Dieser außergewöhnliche Roman beschreibt eine epische menschliche Tragödie und ermöglicht einen erschütternden Einblick in das Wesen der Trauer. Und im Subtext geht es immer wieder um die Frage, die auch schon andere Krimiautoren, vorzugsweise aus Skandinavien umgetrieben hat: Was geschieht, wenn eine Gesellschaft den menschlichen Zusammenhalt vergisst?
Ein großer Kriminalroman.
David Hewson, Das Verbrechen. Kommissarin Lunds 1. Fall, Zsolnay 2013, ISBN 978-3-552-05598-8
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2013-04-30)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.