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Kehlmann Daniel - F
Buchinformation
Daniel, Kehlmann - F bestellen
Daniel, Kehlmann:
F

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(Bücher frei Haus)

Es ist machbar, vor ihrer Lektüre den Lesern von F zu sagen, worum es im Buch geht. Kinder sind es, am Anfang wie am Ende dieses Romans, die, ohne dass irgendwer bemerkte, um was für kluge Fragen es sich handelt, jene nach wie vor offenen Fragen der Philosophie stellen. Eine davon: Wenn Gott alles weiß über alles in unserer Welt und über jeden ihrer Zeitpunkte, dann kennt er jeden Moment unseres eigenen Lebens schon immer. Wie kann es dann unser Leben sein, da es doch beschlossen liegt bei Gott? Wie kann man frei sein? Der Vater der klugen Kinder gibt diese Antwort: „Gott gibt es ja nicht. Das war der Fehler bei euren Überlegungen.“ Aber, gibt es Gott am Ende vielleicht doch?

„Nein“, entgegnet in F ausgerechnet der Priester. Allerdings nur zu sich selbst und seinen zwei Brüdern, sonst macht er Dienst nach Kirchenvorschrift. „Gott gibt es nicht wirklich.“ „Wie aber dann könnte es je irgendeine Art von Wunder geben?“, könnte man einwenden. (Kehlmann erzählt welche in diesem Buch.) Und man kann, wie Daniel Kehlmann in seinen Romanen und Novellen es dauernd tut, eine Art Handlung im Labor aufmachen, ein auf Denkvoraussetzungen fußendes Spiel mit - gar nicht mehr benannten - klassischen Ideen. „Was denn, wenn es Gott zwar nicht, doch den Teufel gäbe, der mit hinterhältigem Spaß dabei ist, das Gelingen unserer Lebenspläne zu hintertreiben?

Leichthändig ließe der Leser sich instruieren, dass er es mit drei längeren Novellen, in denen es jeweils um einen von drei Brüder gehen wird, zu tun bekommt. Zwei sind Zwillinge, ihr älterer, außergewöhnlich dicker Bruder stammt von einer anderen Mutter und ist jener ungläubige Priester. Schwindler sind sie aber alle drei. „F for fake“, wie es bei Orson Welles hieß, was der populärkulturell gut bewanderte Wiener, jetzt Berliner Kehlmann selbstverständlich weiß. Des Weiteren taucht hin und wieder der Vater dieser Drei auf, aber eigentlich hat er sie im Stich gelassen. (Wie unser Vater uns?) Er hört auf den Namen Arthur und ist ein Erschaffender; er schreibt Bücher. Bei Arthur würden wir nicht unbedingt auf Artus kommen, jedoch hat er die Zwillingskinder Eric und Iwan genannt. Der kurzatmige Priester heißt Martin.

Eine Stadt F taucht nicht auf. Hieße der Roman T, man käme flugs dahinter: Tod und Teufel schauen oft genug herein. Aber so, da in der Geschichte nie einer das groß geschriebene F ohne Punkt erwähnt, spinnt man sich zusammen, es könnte sich um den Familiennamen von Vater und Brüdern handeln: Friedland. Kurz vor Ende kommt der Vater noch einmal zum Zug, mittlerweile ist er Großvater, und erinnert an den Protagonisten seines erfolgreichsten Buchs, das zu Beginn erwähnt war. F, dürfen wir hier dann glauben, stünde für Fatum, die Macht des Schicksals. Allerdings, wissen wir jetzt, sind sie Faker - und er, dieser Romancier, sowieso. In F geht es ums Schicksal, aber eventuell ist es fingiert, Fake. (Postmodern halt.)

Bei Orson Welles war es um einen homosexuellen Kunstfälscher gegangen. Hier im Buch der Eric, der eine Zwilling, ist Finanzmarktjongleur und er steckt in der Grenzsituation des zusammenklappenden Kartenhauses, vor der Anklage als Betrüger. Bruder Iwan ist bildender Künstler - und zwar ein homosexueller. Man sieht, ein Buch voll der Zufälle und Übereinstimmungen. (Das Wort „schwul“ kommt übrigens im Wortschatz Kehlmanns nicht vor.) Die beiden Brüder weisen jene Kehlmann-typische Spiegelbilddimension auf: Was, wenn mein eigenes Leben nicht dieses hier, sondern das dort drüben wäre? Dieser Verstörung hat Kehlmann bereits in mehreren Büchern nachgesonnen. Dieselben Träume, Fantasien und Gedanken begegnen uns in den Köpfen des Protagonisten sowohl des Eric- wie des Iwan-Teils. Es scheint ein Raum zwischen ihren Identitäten zu geben, in dem sie austauschbar werden. Von identischer Struktur ihre Privatleben: Erst hält man Ausschau nach einem neuen Menschen zwecks Eröffnung eines gestärkten Erwachsenendaseins, alsbald geht man sich hierin vor allem auf die Nerven. Woraufhin der erste Partner dem zweiten zu weichen hat, schwul oder hetero ist hierbei nicht von Belang.

Der gebremst brillante Künstler Iwan schließt einen Deal mit einem bejahrten, gleichermaßen imposanten wie kunsthistorisch als vorgestrig überholten Maler-Ersatzvater, den er nach seinem Tod erst auszubeuten gedenkt. (Das groteske Künstlerschummler-Paar ähnlich wieder wie bei „Ich und Kaminski“, dem, sagen wir es offen, immer noch besten Buch Kehlmanns. Und sollen wir noch erwähnen, wie dem jungen Kehlmann die Demenz und der Tod seines eigenen Künstlervaters zugesetzt haben?) Über mehrere Jahre weg malt der Alte nun überhaupt nichts und Iwan, der am Markt ja nie wirklich bekannt geworden war, baut strategisch sich zu dessen bestem Freund, Vertrauten, Biografen, Werkkatalogverfasser, Kritiker und schließlich Universalerben auf. Und ist anschließend Jahre damit befasst, das überraschend neu gewordene Spätwerk des Berühmten (abgeschlossenes Oeuvre, lukrativer im Markt als ein Karriereversuch unter eigenem Namen) in kalt-ironischem Stil, einer Mischung aus Magritte und Jeff Koons, nun auch nachzulegen. Selbstverständlich gemahnt das an die von Kehlmann missvergnügt entgegengenommene Einsortierung der eigenen Texte als „virtuoser, aber etwas steriler Neu-Traditionalismus“.

Es kommt alles vor, was in jedem einzelnen anderen Buch von Daniel Kehlmann mal so ähnlich gewesen war. F ist eine schlitzohrige Extraführung durchs Magazin des Künstlers, der diskret verschweigt, was er hier tut. Grandios als Dichter ist Kehlmann ja nie, aber, muss man schon mal sagen, frisch gewitzt und gut unterhaltend. „Kloster Eisenbrunn“ und ein Sprung vom Fernsehturm, ein halbseidener Magier, die vorgeblich zufällig ausgewählten Spielkarten: „Beerholms Vorstellung“ lässt grüßen. Die enge Brüderbeziehung bei gleichzeitiger Elterndistanz, der gerade noch überlebte Unglücksfall: „Der fernste Ort“! Der verfressene Dicke: „Mahlers Zeit“ und diese eine „Ruhm“-Episode („Ein Beitrag zur Debatte“). Ein schuftiger, schwacher, aber extrem gut bezahlter Schriftsteller: „Ruhm“ oder „Leo Richters Porträt“. Eine scheiternde Handy-Kommunikation und die stressig in den normalen Tagesablauf unterzubringende Geliebte: „Wie ich log und starb“ ebenfalls aus „Ruhm“. Das Wagnis, eine simple Erklärung für Zeit, Tod und Wiedergeburt zu finden: wie in „Mahlers Zeit“, wie bei „Der fernste Ort“. Am Ende dann viel Schnee - wie in „Schnee“ aus dem erfolglosen Erzählband des Debütanten, „Unter der Sonne“.

Sein stets etwas beklemmendes Buch über einen heimlich verwunderten jungen Mann, der sich im eigentlich ja sogar glückenden Dasein viel fremder fühlt, als andere ihn erleben, Kehlmann kriegt das von Mal zu Mal besser hin. Wie Thomas Mann, in dessen Namen er ja schon ausgezeichnet worden ist und dem er eine seiner anregenden Literatur-Sekundär-Texte hinterhergeschickt hat, scheint er zur Überzeugung gelangt, dass Genie nichts ist, was man hat, sondern etwas, das man erst einmal vorspiegelt, um von da an dieser Manipulation des Publikums so lange, aufreibend, pingelig nachzufeilen, bis man es, das Genie, eines fernen Tages, in der Rückschau, doch noch gehabt haben wird. Fake als Fatum. Und auch noch der Auftritt des Teufels: „Wenn du mir deine Seele weihst, werde ich deinen Namen ewig machen.“

Man muss aber so fair und offenherzig sein, den Leuten vorher zu sagen, dass es sich bei diesem Autor um Konzepte vom Zeichentisch handelt, Konstruktionen, um die in späteren Durchgängen dann noch so etwas wie Fleisch und Leben gewickelt wurde, sodass sie jetzt wie zeitgenössische Unterhaltungskinogeschichten daherkommen. Lasst euch nicht täuschen, Daniel Kehlmann wäre ein kraftvoller Fabulant, er schöpfe aus dem fetten, prallen Leben! Vielmehr ist er ein Zauberlehrling, der die Rezepte der Meister und die Ideen der Philosophie hersagen kann, zur Aufgabe wählte, sie als Normalverbraucher-taugliche Fernseh-Ware auf die Gasse hinaus zu senden. Auf eine Art ist F hundsgemein. Es wünscht sich einen Käuferrun von Sellerlistengläubigen, denen es nicht den Hauch einer Chance lässt zu merken, wovon es in Wirklichkeit handelt. Nämlich nicht von drei Brüdern, die Pech und auch wieder Glück haben.

Diesen Blick des Isolierten, der die Bodenlosigkeit seines Existenzbetrugs erfährt, transportieren die drei Novellen exzellent. Wieder allerdings meistert Kehlmann den großen, epischen Roman genauso wenig wie das vielstimmige Ensemblespiel eines abgestuften Figurenchors.

Wieder fallen seine Authentizitäts-Kniffe auf. Wenn der Erzählbogen ständig gestört sein muss, die Figuren herumlaufen oder zumindest einen Schluck aus dem Glas nippen, bevor sie einer längeren Rede wieder folgen können, damit der Leser bitteschön nicht auf die Idee kommt, es wären diese Personen und ihre Schlucke mehr oder weniger gleichgültig, hinter allem stünden bestimmte geistige Prinzipien. Von Buch zu Buch ist Kehlmann besser geworden, immer hat er dazugelernt. Doch denkt man irgendwann immer noch an diesen Klassenprimus, dem gar nie was vorzuwerfen ist.

Zitat:

Sie waren Achterbahn gefahren, sie hatten Aquarien mit schläfrigen Fischen besucht, sie waren durch die Wälder des Stadtrands gewandert, sie waren schwimmen gegangen in nach Chlor riechenden Becken voll Kindergeschrei und Sonnenlicht. Immer hatte man Arthur Mühe angemerkt, nie war er wirklich bei der Sache gewesen und auch die Zwillinge hatten nicht sehr gut verborgen, dass sie nur mitkamen, weil sie es mussten. Obwohl Martin das klar erkannte, waren es die schönsten Nachmittage in seinem Leben gewesen. Beim letzten Mal hatte Arthur ihm einen bunten Würfel geschenkt, dessen Seiten man verdrehen könnte, ein neues Spielzug, eben auf den Markt gekommen.

Mit einer anderen Sorte Schriftsteller verbindet man Qualitäten wie „Echtheit“ oder „Ehrlichkeit“. Wie sehr man auch ahnt, dass ein Buch nie das Leben, sondern stets ein manipuliertes Surrogat geben muss. Die unverstellte Nähe der Person Daniel Kehlmann zu irgendetwas oder zu irgendwem kann man in keinem seiner Bücher fühlen. Bei Kehlmann respektiert man Geschicklichkeit, Kunstfertigkeit, Kunstverstand. Da der Teufel in diesem Buch wirklich einen Auftritt hat, also existiert (aber Gott?), zählt eine Stelle wie die folgende zum Besten. Arzneimittelmissbrauch und Stress haben den Protagonisten an den Abgrund seiner privaten Hölle geführt. Jetzt hört er das lockende Geräusch aus dem Keller. Eine so konventionelle wie nachgeahmte Szene aus dem Horrorkino oder von E. A. Poe. Sie funktioniert und darum ist sie gut.

Zitat:

Die Glühbirne hier ist schmutzig und flackert stark, sie muss schon alt sein. Die Stufen sind schmal. Ich trete mit dem rechten Fuß vorsichtig auf die oberste, halte einen Moment inne und gehe dann langsam hinunter.
Da ist es wieder. Ein dumpfer Schlag, ein Zerren und ein Quietschen wie von den Kolben einer großen Maschine. Aber ich kann nicht umkehren. Zu oft der Angst nachgeben, und man wird klein und kümmerlich. Das ist mein Haus. Vielleicht ist das die Prüfung, auf die es ankommt, vielleicht wird sich jetzt alles ändern.
Es verstummt.


[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2017-01-05)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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