Colin Crouch, der Autor des sehr beachteten und viel diskutierten Werkes Postdemokratie, seinerseits britischer Sozialist mit einem Labour-Mitgliedsausweis, hat sich getraut, den schweren Schritt von der negativen Analyse zur Prognose zu wagen. In Postdemokratie hatte er mit großem Scharfblick und wohl auch aus leidvoller Erfahrung aus dem politischen Alltag all jene Tendenzen beschrieben, die auf eine Unterminierung des demokratischen Systems hinauslaufen. Dabei kam er zum einen sehr intensiv auf den schwindenden Konsens über Sinn und Bedeutung öffentlicher Leistungen zu sprechen und er schilderte die wachsende Legitimitationskrise der Politik gegenüber spontanen Bewegungen, die sich selbst in und in der Öffentlichkeit als unmittelbarere demokratische Ausdrucksform sehen. Die jedoch schädlichste Tendenz gegen die verfasste Demokratie sah er in der neoliberalen Position, die staatliches Handeln per se als negativ und den Markt an sich immer positiv sieht und dabei sei, die staatlich verfassten Errungenschaften sozial verantwortlichen Handelns in gesellschaftlichen Maßstab zu filetieren und an private Unternehmen zu verhökern. Eine Sichtweise, die aus britischer Perspektive sehr folgerichtig erscheint.
Wer sich in der politisch reflektierten Öffentlichkeit derartig gut positioniert hat ist sich natürlich nicht mehr sicher, wenn die Partei anklopft und mehr begehrt. So wird es wohl auch Colin Crouch gegangen sein. Sein viel beachtete Analyse allein hat nur begrenzen Wert für eine Partei, die Wahlen gewinnen will. Und so ist es gekommen, dass Crouch sich daran gemacht hat, trotz seiner eher voran gegangenen pessimistischen Analysen ein Buch zu schreiben, dass Labour und der europäischen Sozialdemokratie eine bedeutende Rolle in der Zukunft zuweist. Jenseits des Neoliberalismus. Ein Plädoyer für soziale Gerechtigkeit heißt die Schrift, mit der Colin Crouch die Zukunft der Sozialdemokratie zu beschreiben sucht.
Und so ist es logisch, dass die Schrift mit dem Appell beginnt, dass die Sozialdemokratie aus der Defensive heraus und in in die Durchsetzungsfähigkeit hineinwachsen müsse. Was folgt, ist allerdings eine semantisch amüsante, aber politisch verwegene Betrachtung, die über die Unzulänglichkeiten des Marktes räsoniert und dabei den kleinen Schlenker macht, dass die Sozialdemokraten die besseren Neoliberalen als diese selbst seien. In einer Reihe rabulistisch dargelegter Fallbeispiele dokumentiert Couch die - zweifelsohne vorhandene - Unzulänglichkeit des Marktes und die Notwendigkeit zunächst politischer und dann etatistischer Intervention, um den Wohlfahrtsgedanken an den Schwachen zu materialisieren. Das ist jedoch seit August Bebel bekannt und insofern nicht sonderlich stichhaltig bei der Neubestimmung der Rolle der Sozialdemokratie.
Noch verwegener wird die Argumentation bei der Frage der strategischen Bündnispartner und deren Beantwortung. Besonders die Grünen und spontane Initiativen werden genannt und damit die politischen Artikulationsformen, die den zahlenmäßigen Niedergang der Sozialdemokratie in den letzten beiden Jahrzehnten eskortiert haben. Da spricht nicht viel für ein eigenes Profil, sondern es wird das Heil gesucht in einem politischen Sammelbecken, das an politischer Schizophrenie nicht zu überbieten und zum Scheitern verurteilt ist. Die potenziell strategischen Partner nämlich definieren sich aus einem anti-staatlichen Reflex, wenn es um die Exekutive der verfassten Organe geht und sie favorisiert staatliche Intervention, wenn es um die Einschränkung der Handlungsfreiheit des Individuums geht.
Sollte die Sozialdemokratie nach einer Zukunft suchen, dann liegt die Zukunft sicherlich nicht in dieser suizidalen Liaison. Obwohl Colin Crouch in diesem Buch auch den Aspekt der sozialen Basis der Sozialdemokratie verfolgt, geht er ihm nicht konsequent nach, was ihm letztendlich die Perspektiven verstellt.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2013-08-10)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.