Robert Cremer - Die Geheimsprache des Blues: Die wahre Bedeutung der Songtexte
Buchinformation
Der passionierte US-amerikanische Musikforscher Robert Cremer legt ein 700-seitiges Blues-Glossar mit zusätzlichen 200 Seiten Einführungstexten vor, das sich gewaschen hat. In zwölf Kapiteln erklärt er die wichtigsten Einflussfaktoren für den Blues und zitiert aus hunderten von Songtexten. Zudem hat die Edition Olms diesen Mega-Band mit Farb- und S/W-Bildern illustriert.
Blues: die Sprache der Unterdrückten
"Wenn ich kein Unglück hätte, hätte ich überhaupt kein Glück", lautet der Titel des ersten Kapitels und definiert damit gleichzeitig die Befindlichkeit in der sich Blues-Musiker befinden. Schon 1805 schrieb der Literat Washington Irving: "For everybody knows how provokingly it is to be cut short in a fit of the Blues". Oder besser noch formulierte es Jane Lucas in "Double Trouble": "I'm blue, but I wohnt be blue always". Es schwingt also doch immer auch die Hoffnung mit, dass sich die eigene Lage durch ein Wunder verbessern könnte. Meistens war das Wunder, das Singen des Blues selbst. Denn das befreite und trug zur Kommunikation unter jenen bei, die dasselbe Leid plagte: The Man. Der Blues rezipierte nämlich die "phylogenetische Rekapitulation der Artenerfahrungen", wie die Black Experience von Irving beschrieben wird. Die ersten Sklaven waren 1619 in Jamestown angekommen, so Bukka White, und somit gehörten sie ebenso zur Gründung der amerikanischen Nation wie cherry pie. Die aus unterschiedlichen Ethnien stammenden Afrikaner unterhielten sich dann mittels einer eigenen Sprache, dessen Verständnis dem weißen Mann unerreichbar war: der Blues. In akribischer Kleinarbeit hat Robert Cremer nicht nur tausende Bluestexte angehört und analysiert, sondern auch den Ursprung des Wortschatzes untersucht. Herausgekommen ist dabei nicht nur ein Nachschlagewerk mit mehreren 100 Einträgen, sondern auch eine lesenswerte Geschichte der Entstehung des Blues und seiner wichtigsten Ingredienzen und Vertreter:innen. "In afrikanischen Gesellschaften bilden Musik, Sprache, Körperbewegungen und die darin enthaltenen Botschaften eine Einheit und werden nicht als getrennte Bestandteile betrachtet", fügt Cremer erklärend hinzu.
House Rent Parties & Jook Joints
In der Sklaverei in Amerika limitierte sich diese Art der Kommunikation keineswegs, sondern es entstand die ganz eigene Form des Blues. Dabei wurden Versatzstücke aus der aufgezwungenen Religion des Christentums, vor allem aus der Bibel, transformiert in die Heilslehre von einem besseren Leben im Norden der Staaten, wo die Sklaverei verboten war. So wurde der biblische "Jordan" zum Ohio, der damals die Grenze zwischen den Nord- und Südstaaten markierte, oder Pharao's Land als Metapher für die Sklavenhaltergesellschaft des Südens verwendet. Gospel, der sich aus dem Blues entwickelte, war also stets auch ein Gesang der Befreiung und nicht nur religiös kosnotiert. Aber auch als die Sklaverei durch den Bürgerkrieg abgeschafft wurde, waren die Lebensbedingungen im Süden durch Apartheid und Segregation gekennzeichnet. So wanderten etwa 1920 immerhin sechs Millionen vom Süden in die Städte des Nordens, auch "Great Migration" genannt. Dort erwartete sie zwar immer noch gesellschaftliche Diskriminierung (getrennte Wohnviertel), aber immerhin bessere Löhne und Lebensbedingungen. Und wenn es gar nicht mehr ging, veranstaltete man einfach eine House Rent Party, um die ausstehende Miete reinzuholen. Aber es gab auch Parties in barrelhouses und Jook Joints: "Musically speaking, the Book is the Most important place in America. For in it's smelly, shoddy confines has been born the secular music known as blues, and on blues has founded Jazz. The singing and playing in the true Negro Style is called "jooking"", schreibt die Autorin Zera Neale Hurston. Witzigerweise gibt es das Wort "Juk" auch in afrikanischen Sprachen, etwa in der Kreolsprache Gullah, wo es zügellos bedeutet, im Wolof als "jug", das "ein Lotterleben führen" heißt, oder im Bambara wo das Wort "dzug" gleichbedeutend ist mit "sich danebenbenehmen".
"Daddy, grind my meat!"
Andere Kapitel in vorliegendem Hauptwerk zur Bluesgeschichte beschäftigen sich mit Gastronomie, Voodoo und Hoodoo, Drogen und Schnaps, Rassentrennung, Glücksspiel und schwarzem Humor mit schwarzem Gesicht: "Ev'rything's agin' me and it's tot me down, If I jumped in the river I would prob'ly drown", sang Hank Williams in "I'll never get out of this world alive", den Cremer ebenfalls zum Blues zugehörig zählt. Denn Blues ist längst keine Frage der Hautfarbe mehr, sondern eine der Lebenseinstellung. Denn abgesehen vom Humor gehörte auch eine gesunde Einstellung zum Sex zu den essentiellen Ingredienzen des Blues. Wer unter der Absatzüberschrift "Daddy, grind my meat!" nur das versteht, was dort steht, sollte also mindestens die ersten beiden Worte in Cremer's Glossar nachschlagen, um in die höheren Weihen des Blues-Verständnisses aufzusteigen. Nahezu jeder Blues-Song drückt nämlich mehr oder weniger verblümt, das Bedürfnis nach Sex aus. Dazu wurden u.a. Gleichnisse aus der Gastronomie verwendet. In diesem Sinne also: "Keep on churnin', Bruce!".
U.a. mit Muddy Waters, Buddy Guy, John Lee Hooker, B.B. King, Big Bill Broonzey, T-Bone Walker, Fleetwood Mac, Eric Clapton, die Rolling Stones...
DIE GEHEIMSPRACHE DES BLUES
Die wahre Bedeutung der Songtexte
Mit einem Vorwort von Bobby Rush.
2022, 868 Seiten mit über 250 Fotos und Illustrationen, Hardcover, im Grossformat 21 x 30 cm.
ISBN 978-3-283-01316-5.
€ (D): 49,95
€ (A): 51,40
sFr.: 65.00
Edition Olms
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2022-08-23)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.