„nerooogocciaaadecacapoinbi“ gibt der Kellner im berühmten Caffè degli Specchi auf der Piazza dell’Unità die Bestellung des Gastes laut an seinen Barista weiter und obwohl wir uns hier in Italien befinden, in Triest, werden sich selbst die Italiener bei diesem Komposita schwer tun, denn erstens kommt gar kein cappuccino drinnen vor und zweites was ist ein „nero“? Und warum „deca“? Triest ist halt ein kleines bisschen anders als anderen Städte Italiens und das nicht nur in der Tradition des Kaffeehauses, was normalerweise ja eine Espressobar ist, sondern auch in seinen sprachlichen Eigenheiten. Das „Neapel des Nordens“ – wie Mauro Covacich seine „Stadt des Windes“ nennt – wird von ihm kurz gehaltenen kleinen Essays beschrieben und spart nicht des Lobes für diese Literatenstadt, die ganz anders als Italien, ein sehr viel multikulturelleres Gesicht hat als vielleicht sogar Neapel. Man kann Triest aber gemeinsam in den Worten des Autors zumindest als die „südlichste Stadt des Nordens“ bezeichnen und das nicht nur aufgrund seiner Gebräuche und Traditionen.
Von Büscheln und frechen Bürschchen
„Davanti a un fiasco de vin quel fiol de un can fa le feste, perché xe un can di Trieste”, heißt es in einem regionalen Gassenhauer, der einen Hund Triests besingt, die mit einem Wein ebensolche Freude haben wie ihre Besitzer, denn es ist „ein Hund aus Triest“. Die Triestiner trinken ihren Wein gerne im Umland Triests, in den Osmizze, eigentlich ein slowenisches Wort, in der die Zahl „acht“ steckt, weil ursprünglich die Konzession des Ausschanks für die Weinbauern nur für acht Tage vergeben wurde. So wie in Wien, der ehemaligen Hauptstadt auch dieser Region, wird vor den Osmizze ebenfalls ein Zweig oder ein Zweigbüschel ausgesteckt, der darauf hinweisen sollte und auf diese Weise allzu wilden Schwarzhandel unterbinden sollte. Die Heurigen in Wien heißen deswegen auch „Buschen“schank, was im Italienischen eben wiederum frasca (also: Büschel) genannt wird. Natürlich haben sich heutzutage auch die Öffnungszeiten der Osmizze den modernen Konsumgewohnheiten angepasst und wer vom Zentrum Triests mit einer Zahnradbahn nach Opicina hochfährt, kann sich einiger Osmizze bei langen und ausgedehnten Spaziergängen erfreuen, gerne auch „acht“ Tage die Woche...vielleicht inspirierte das Umberto Saba zu seinem Gedichte „Triest ist eine Frau“, in dem er schreibt: „Trieste ha una scontrasa/grazia. Se piace,/è come un ragazzaccio aspro e vorace,/con gli occhi azzuri e mani troppo grandi/per regalare un fiore; come un amore/con gelosia.”
Die Stadt ist die Kaiserin
„Wer soll all jene heilen, die sich für gesund halten?“, fragt einer der letzten Bewohner San Giovannis, der ehemaligen Irrenanstalt Triests, den Autor bei einem Besuch. Und tatsächlich hat sich seit 1978 als die Legge Basaglia die Irrenhäuser öffnete, die Perspektive deutlich zugunsten der Verrücktheit verschoben. Aber wer in einer so schönen Stadt wie Triest wohnt, braucht eigentlich gar keine Depressionen zu haben oder muss sein Gemüt auch nicht in Alkohol ertränken oder gar den Trost unter den Büscheln suchen, denn Triest hat sechs Monate im Jahr Sonne und seine Bewohnerinnen und Bewohner räkeln sich auch im Oktober noch in den saubersten Wellen der Adria. In Miramare außerhalb Triests, aber durch einen kurzen Spaziergang am Meer entlang ebenfalls leicht zu erreichen, wurde einst Charlotte, die Frau des „Kaisers von Mexiko“ (Maximilian) verrückt und nur durch ihre Schwägerin Sisi aus ihrem Wahn geweckt. Die erste „Diät-Fanatikerin“ und „Vertreterin des Anoroxie-Styles“ – wie Covacich die „Kaiserin von Österreich-(Ungarn)“ nennt, legte damals schon den Grundstein für die besonders in Triest verbreitete Plage der „junggebliebenen Vierzigjähirgen unserer Tage, tätowiert, trainiert, gesundheitsbewusst, depiliert, gebräunt und mit einem Piercing im Bauchnabel, so Covacich. Eine Einführung in das Triest von „nerooogocciaaadecacapoinbi“ - also einem macchiato mit einem dekoffeinierten Cappuccino im Glas - der Stadt der Bora und der Literatur von Svevo bis Saba, Joyce bis Magris. „La mia città che in ogni parte è viva,” schreibt der zitierte Saba, “ha il cantuccio a me fatto, all mia vita pensosa e schiva.”
Mauro Covacich
Triest verkehrt
Fünfzehn Spaziergänge in der Stadt des Windes
Wagenbach Verlag
2014
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2014-07-21)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.