Bevor der Bruder von Ridley Scott, Tony, seinen Top Gun (1986), einen internationalen Toperfolg, landete, drehte er mit den Stars Catherine Deneuve und David Bowie den Vampirfilm Begierde (1983). Aufgrund von Atmosphäre und Ästhetik wird dieser klassische 80er Streifen auch gerne mit Blade Runner (1982) seines Bruders verglichen.
Lesbische Liebe im lasziven London der 80er
Den Vorwurf des „dekorativen Ästhetizismus“ müssen sich viele Filme dieses Jahrzehnts gefallen lassen, aber gerade das zeichnete eben dieses Jahrzehnt aus. Dabei ist das Intro von "The Hunger" - so der Originaltitel - so aufregend! Peter Murphy von der englischen Band "Bauhaus" mimt den Goth Hero, der mit "Bela Lugosi’s Dead", seiner Song-Hommage an den ersten Hollywood Vampirdarsteller der Dreißiger Jahre, den Zuschauer auf eine nocturne Horrorstimmung gleich vorneweg einstimmt. Später werden auch ausgefallene Kompositionen von Schubert, Ravel, Bach, Gregorio Allegri, Léo Delibes (aus seiner Oper Lakmé) und Édouard Lalo quasi live von dem Trio zum Besten gegeben. Denn das Ehepaar John und Miriam Blaylock (David Bowie und Catherine Deneuve) haben wöchentlich einen jungen Klavierspieler zu Gast, Alice Cavender (Beth Ehlers), der von ihnen unterrichtet wird. Beide ernähren sich von Blut, um ihr ewiges Leben in Schuss zu halten und nicht vorzeitig zu altern. Eine Rückblende zeigt Miriam schon in der Zeit der ägyptischen Pharaonen, sie dürfte also schon mehrere tausend (!) Jahre alt sein. John ist hingegen erst einige hundert Jahre alt und erkrankt plötzlich an Progerie, eine genetische Erkrankung, die einen im Zeitraffertempo altern lässt. Das Höchstalter bei erkrankten Kindern ist gerade einmal 16 Jahre. John sucht daraufhin die Gerontologin Dr. Sarah Roberts (Susan Sarandon) auf, die auf dieses Fachgebiet spezialisiert ist. Sie hält ihn vorerst für einen einzelgängerischen Spinner, bis sie entdeckt, dass er in ihrem Wartezimmer mehrere Jahrzehnte gealtert ist. In der Zwischenzeit entdeckt Miriam aber ihre Vorliebe für Frauen und macht sich an Sarah heran...
Goth Ästhetik und Subkultur im Vampirfilmkontext
Die Vorlage des 1983er Films diente auch in den Jahren 1997–2000 der gleichnamigen Fernsehserie Begierde – The Hunger (The Hunger), in der u. a. Wieder David Bowie mitspielte als Quelle. Die Serie wurde u. a. für den Emmy Award nominiert. Die freizügigen Nacktszenen des lesbischen Liebespaares mögen dem Film, der vor morbider Romantik und dunkelrotem Blut geradezu trieft, noch mehr Beachtung eingebracht haben als das Staraufgebot. Der Film ist eine visuell herausragende Hommage an die Vampirfilme der Dreißiger mit den ästhetischen Maßstäben der Achtziger Jahre, der auch vor kulturellen Tabus der Ära nicht halt machte. Außerdem wurde er zur Vorlage vieler Dresscodes der Goth Subkultur der Achtziger Jahre, die auch viele andere Bands und weitere Filme inspirierte. Dass die Story etwas dünn ausfällt mag den einen oder anderen stören, aber vielleicht sollte man dabei auch daran denken, dass das Jahrzehnt in dem The Hunger entstand sich eben genau dadurch am besten charakterisieren lässt: „schick, leer und langweilig“, wie der Spiegel damals über den Film schrieb. Aber von Goth-Ästhetik hatten die ohnehin noch nie eine Ahnung. Oder?
Suzanne Coote, Tony Scott
Begierde (Mediabook, Blu-ray+DVD)
(Originaltitel: The Hunger)
EXTRAS: Audiokommentar mit Susan Sarandon und Tony Scott, Bildergalerie, Trailer, Booklet von Stefan Jung und Prof. Dr. Marcus Stiglegger
2024/1983, Horror, ca. 96 Minuten, ab 16
Mit Catherine Deneuve, David Bowie, Willem Dafoe, Susan Sarandon
PLAION PICTURES
29,99 €
[*] Diese Rezension schrieb: Juergen Weber (2024-07-12)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.