Wer Jeff „The Dude“ Bridges zuletzt bei den Coen-Brüdern in „True Grit“ (2010) gesehen hat und ihn dennoch immer noch mit „The Big Lebowski“ (1998) assoziiert, wird sich auch in „Crazy Heart“ über die Leistungen des aus Los Angeles stammenden Schauspielers freuen. Ausgerechnet in einer Bowlinghalle spielt sich nämlich die erste Szene dieses Films ab und „Bad Blake – so der Name des von Jeff Bridges verkörperten Protagonisten – setzt sich an die Bar der Bowlinghalle und bestellt einen Drink. Quasi nahtlos schließt die Kamera dort, wo Big Lebowski 1998 aufgehört hatte und man mag dies also große Hommage an einen großen Film mit einem ebenso großen Schauspieler verstanden wissen, denn auch der sich zwischen dem Promoter und Blake abspielende Dialog hat eine solche intime Raffinesse, dass man den Charakter schon nach den ersten 5 Minuten des Films ins „crazy“ Herz geschlossen hat. Jeff Bridges spielt einen alternden Countrysänger, der es mit 57 Jahren immer noch zu nichts gebracht und sich nicht einmal eine Flasche Whiskey im Supermarkt mehr leisten kann, so broke ist das gebrochene Crazy Heart. Dem Alkohol komplett verfallen tingelt er in einer alten Karre von einem Countryschuppen zum andern, gerade dahin, wo sein Agent ihn eben hinlotst.
“Funny how falling feels like flying... for a while.“
Doch dann kommt die große Wende auch im Leben des geborenen loosers Blake und er darf vor 12.000 Menschen im Vorprogramm seines ehemaligen Schülers Tommy Sweet (Colin Farrell) spielen. Dieser ist trotz seines Erfolges aber fast ebenso ausgebrannt wie Blake selbst und bittet ihn um neue Songs, da sonst auch seine Karriere zu stornieren droht. “Funny how falling feels like flying... for a while.“, komisch wie sich fallen manchmal für einen Moment wie fliegen anfühlt, heißt es in dem Film, der nicht nur vom Fallen, sondern auch vom Fliegen erzählt, nämlich dann, als sich Blake das erste Mal seit langer Zeit wieder zu verlieben getraut, in die Journalistin Jean Craddock (Maggie Gyllenhaal), die ihn mit ihrem kleinen Sohn Bobby ziemlich auf Trab hält. Denn der alternde Countrystar ist nicht nur ein seelisches, sondern auch ein ziemliches körperliches Wrack, bis er mit seinem Auto verunglückt und die Handlung ihre Wende nimmt.
One Day at a Time
Katharsis nennt man in der aristotelischen Poetik die „Reinigung“ von bestimmten negativen Affekten. Durch das Durchleben von Jammer und Rührung oder Schrecken und Schauder, Mitleid und Furcht wird auch dem Zuschauer der Tragödie die Wirkung einer Läuterung seiner eigenen Seele zuteil, so Aristoteles in seiner Poetik, Kap. 6, 1449b26. Und vielleicht hat auch Regisseur Scott Cooper daran gedacht, als er diesen wunderschönen, besinnlichen Film ins Bild setzte. In Erinnerung wird einem sicherlich bleiben, wie Blake in der Wüste in einer Telefonzelle steht und „seine“ Jean anruft, um zu sagen, dass er sie sehen möchte. Genau danach passiert allerdings der Unfall, wohl um zu zeigen, dass auch sein Leben außer Bahn gerät, nicht nur das ihre. „Wenn du uns wirklich liebst, dann verlässt du uns“ soll sie später zu ihm sagen, weil sie weiß, dass er seinen Lebensstil auch für sie und ihren Sohn nicht ändern wird können. Obwohl Blake eine Entziehungskur macht, glaubt sie ihm nicht, denn er bleibt für immer der „lonesome cowboy travelling man“ den er ihn vielen seiner Lieder ja auch besingt. Wäre Bad Blake nicht ohnehin eine erfundene Figur, würde man sich fragen, ob es solche authentischen Menschen überhaupt noch gibt, Leute, die ihr Leben so leben, wie sie es wollen und auf die zwangsneurotische Öffentlichkeitsgeilheit und Erfolg einfach nur antworten: one day at a time…
Hit Rock Bottom
Am Ende ist der Held geläutert, ein bescheidenes Maß an Erfolg wird auch ihm zuteil, vielleicht auch gerade deswegen, weil er darauf nie Wert legte. Jean setzt ihr Interview mit dem nunmehrigen offiziellen Songwriter und Star im Hintergrund von Tommy fort und über der Wüste im Hintergrund leuchtet wieder ein blauer Himmel. Wer einmal ganz unten war, der braucht sich nicht dafür zu schämen, nur wenn er nicht mehr aufsteht, das ist wirkliches Verlieren. Jeff Bridges punktet natürlich nicht nur mit seiner coolen Originalstimme (DVD: Deutsch/Englisch) und schauspielerischen Leistung, sondern auch dadurch, dass er die Lieder des Soundtracks tatsächlich auch selbst singt. Der Schauspieler, der vor kurzem selbst 60 Jahre alt geworden ist (remember True Grit: „I think I’ve grown old“) bekam für seine Rolle als Bad Blake den Golden Globe Award 2010 und den Oscar als bester Hauptdarsteller 2011.
Wer den titelgebenden Song von Hank Williams liest, bekommt auch eine Inhaltsangabe des Films mitgeliefert: „You thought she’d care for you and so you acted smart/Go on an break, you crazy heart/You lived on promises I knew would fall apart/Go on and break you crazy heart.You never would admit you were mistaken/You didn’t even know, the chances you were takin’/I knew you couldn’t win, I told you from the start/Go on and break you crazy heart/I knew you’d wake up and find her missin'/I tried my best to warn you, but you wouldn’t listen/You told me I was wrong, you thought that you were smart/Go on an break you crazy heart.“ Nur blöd, dass man beim Verlieren, selbst nicht so cool rüberkommt wie Jeff Bridges in einer seiner besten Rollen als Bad Blake: the holy reincarnation of the dude.
Regie: Scott Cooper
CRAZY HEART,
USA 2013
Nach dem Roman von Thomas Cobb.
Kamera: Barry Markowitz.
Musik: Stephen Bruton, T-Bone Burnett.
Mit: Jeff Bridges, Maggie Gyllenhaal, Robert Duvall, Ryan Bingham, Colin Farrell.
20th Century Fox,
DVD 110 Minuten.
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2013-01-26)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.