Eine Reise von Mailand nach Florenz bis hin nach Venedig verspricht dieser abenteuerliche und gewitzte Comic und das größte Genie aller Zeiten, Leonardo da Vinci, hat alle Hände voll zu tun. Im Morgengrauen des 15. Dezember 1494 machen die Bewohner Mailands eine grausame Entdeckung: am Martesana-Kanal wird der Notar Cristofero di Rodrigo tot aufgefunden und sein Gesicht fehlt. Wer könnte ein so grausames Verbrechen begangen haben? Ein Monstrum? Aber das Gesicht wurde so kunstvoll abgezogen, das würde doch ein Tier niemals zu Wege bringen! Bald erfolgt ein weiterer Mord und der Vogt Vittore, der im Auftrag des Herzogs von Mailand die Mörder sucht, hat bald einen allzu deutlichen aber umso unglaublicheren Verdacht. Im ersten Teil „Der zerbrochene Engel“, der vor allem im winterlichen Mailand spielt, wird nicht nur das Castello Sforzesco gezeigt, sondern auch andere Besonderheiten der lombardischen Stadt fallen dem aufmerksamen Leser bald auf. Darunter natürlich auch das Fresko „Das letzte Abendmahl“ vom Meister himself, das in der Kirche Santa Maria delle Grazie kurz vor seiner Fertigstellung steht. Allein das Gesicht des Judas macht dem Künstler noch Kopfzerbrechen und eventuell könnte auch das etwas mit den Morden zu tun haben?
Aber was ist eigentlich das Verbindungsglied zwischen den drei Morden, die sich im zweiten Teil „Schatten und Licht“ in Venedig fortsetzen? Der Vogt will seiner eigenen Analyse erst nicht glauben, doch die Fakten sprechen für sich. Auch in Venedig zeichnet sich die Geschichte durch Ortskundigkeit und Lokalkolorit aus. Nur wer die Stadt besser kennt wird erkennen, dass nur ein Zeichner, der sich länger dort aufgehalten hat, Venedig so authentisch wiedergeben zu vermag. Da sind einerseits die vielen Fassaden von Kirchen aber auch ganze Straßenzüge und Gassen, Kanäle und Rii, die man sofort wieder erkennt, so authentisch sind sie wiedergegeben. Zum Beispiel die Abbazzia in der Nähe der Fondamenta della Misericordia oder eine an Francesco Guardi angelehnte Ansicht des Palazzo Ducale vom Wasser aus kann man sehen, ganz zu schweigen von der Aufnahme der Ca` d`Oro oder von Zanpolo. Allein für diese akribischen Anspielungen hat sich der Comic schon seinen Platz im zeichnerischen Olymp verdient, aber wenn dann noch die Chiesa dei Miracoli von innen und außen gezeigt wird, wähnt man sich tatsächlich in ein venezianisches Märchen entführt, da mag die Handlung noch so gruselig sein. Doch der Plot schreitet unweigerlich fort und Schritt für Schritt wird die grausame Wahrheit über einen der größten Künstler Europas enthüllt. Dabei wird übrigens auch nicht an Anspielungen – einerseits sein Lustknabe und Diener, andererseits seine geliebte und stets verhüllte Kaufmannstochter – gespart. In Florenz wartet schließlich die Enthüllung auf den Leser und am Ende steht ein großes Verbrechen doch immer im Schatten eines noch größeren. Rache als legitimes Handlungsprinzip mag zwar unchristlich sein (Verzeihe deinem Nächsten; Halte die rechte Wange hin, auch wenn du schon auf die linke geschlagen wurdest), jedoch spielt sie im alltäglichen Leben eine viel größere Rolle als man ihr zugestehen möchte. Davor – vor der Rache – sind eben auch jene nicht gefeit, mit denen es die Schöpfung so gut meinte, dass sie beinahe alles hatten und vermochten zu machen. So sind eben auch einem Leonardo da Vinci Grenzen gesetzt. Sei es von der Schöpfung oder einfach nur von den Erzählern dieser abenteuerlichen und unterhaltsamen Geschichte aus dem Italien des 15. Jahrhunderts.
Da Vinci
ALL IN ONE
Didier Convard, Gilles Chaillet
Einzelband Hardcover