In diesem wunderbaren Bestseller aus Frankreich geht es um drei Frauen, wie sie nicht unterschiedlicher sein könnten. Drei Frauen aus drei Kontinenten, jede mit ihrem eigenen Schicksal und doch auf eine magische Weise miteinander verbunden.
Da ist Smita aus Uttar Pradesh in Indien. Sie und ihre Tochter gehören zu den Dalit, den Unberührbaren, die Gandhi einmal „Kinder Gottes“ nannte. Ihre Aufgabe ist es, täglich die Latrinen der Bewohner des Ortes reinigen, die höher gestellt sind als sie. Mit bloßen Händen holt sie die Exkremente ihrer Nachbarn heraus und entsorgt sie auf den Feldern. Ihr Mann arbeitet als Rattenfänger auf jenen Feldern. Die Tiere, die ihm in die Falle gehen, darf er nach Hause mitnehmen. Smita brät sie dann abends, oft die einzige Nahrung für die Familie. Während Smitas Mann treu im Glauben auf seine Wiedergeburt in einem hoffentlich besseren Leben wartet und sich still in sein Schicksal fügt, beschließt Smita, die will, dass ihre Tochter Lalita Lesen und Schreiben lernt, ihr Leben in die Hand zunehmen. Mitten in der Nacht geht sie mit den wenigen Ersparnissen zusammen mit ihrer Tochter fort. Sie verlässt Dorf und Ehemann, um für sich und die Tochter ein neues Leben zu beginnen.
Ihre Reise wird sie irgendwann in einen Tempel führen, wo sie für ihre spirituelle Reinigung ihrem Gott Vishnu ihren Zopf opfert.
Diese Haare sind zusammen mit anderen die Rettung für die altehrwürdige Perückenfirma der 19-jährigen Giulia aus Palermo, die nach einem Unfall des Vaters, der ihn in ein immerwährendes Koma fallen lässt, verzweifelt versucht, die durch erhebliche Schulden und sinkende Nachfrage ihrer edlen Produkte kurz vor dem Bankrott stehende Firma und die Arbeitsplätze der Mitarbeiterinnen zu erhalten.
Die Haare aus Indien, von besonders guter Qualität, sind der Rohstoff, für Perücken besonders hohen Standards, von denen eine schließlich in Kanada landen wird.
Dort, auf der anderen Seite des Atlantiks lebt die erfolgreiche Anwältin Sarah in Montreal. Sie hat sich über viele Jahre trotz zahlreicher Anfeindungen als Frau in ihrem Beruf durchgesetzt. Immer hat sie es geschafft, die Sorge für ihre drei Kinder und ihren Beruf miteinander zu vereinbaren. Der Preis dafür war hoch. Sie hat schon zwei Scheidungen hinter sich und als sie nun als Partnerin ihrer Kanzlei aufgenommen werden soll, denkt sie, mit noch mehr Anstrengung sei auch das zu schaffen.
Da erfährt sie von einer Krebserkrankung, die sie erst einmal verdrängt, die sie dann niederhaut und sie schließlich zwingt darüber nachzudenken, was ihr im Leben wirklich etwas bedeutet, was ihr wichtig ist. Ganz schafft sie den Turnaround nicht, aber eine Perücke aus Guilias Werkstatt in Palermo wird ihr helfen, neuen Lebensmut zu schöpfen und ihr normales Leben wieder aufzunehmen.
Laetitia Colombani erzählt die Schicksale dieser drei Frauen, die auf unterschiedliche Weise dieselbe Sehnsucht nach Freiheit verbindet abwechselnd. Ohne dass sich die Frauen kennen, bewegen sich ihre Geschichte sozusagen aufeinander zu. Jede auf ihre Weise kämpft gegen die Widerstände des Lebens.
Die Autorin hat aus diesen drei Geschichten eine Art Zopf geflochten, der symbolisch den ersten Zopf Smitas ersetzt.
Es ist ein berührender Roman ohne aufgesetzte Sozialkritik. Laetitia Colombani schildert ihre drei Frauenfiguren mit Bedacht, ohne hintergründige Kritik und achtet so das, was sie verbindet trotz aller unüberbrückbaren Unterschiede: die Sehnsucht nach Freiheit und die Erfahrung, dass es sich lohnt, neu anzufangen und für sie zu kämpfen.
Laetitia Colombani, Der Zopf, S. Fischer 2018, ISBN 978-3-10-397351-8
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2018-08-23)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.