Da kommen ein Mann ( später wird deutlich, er ist in den fünfzigern) und ein Kind mit einem Schiff in einem neuen Land an. So wie viele andere Flüchtlinge, die über den Ozean kommen. Das neue Land ist karg, erinnert in seinen ärmlichen Lebensbedingungen eher an Nordkorea als an irgendein europäisches Land. Ein für die Neuankömmlinge zuständiges Amt vermittelt den beiden eine bescheidene Wohnung und neue Namen. Der Mann heißt nun Simon und findet schnell eine Arbeit in Hafen als Schauermann, der Junge wird fortan David genannt. Simon hat sich schon auf der Überfahrt des Jungen angenommen und ihm versprochen, seine Mutter wiederzufinden. Denn ein Brief, in dem wichtige Informationen enthalten waren, ist auf der Fahrt über den Ozean verloren gegangen.
So wie alle anderen Flüchtlinge, von denen es in dem neuen Land, in dem Spanisch gesprochen wird, viele gibt, sind auch Simon und David durch die Überfahrt von allen Erinnerungen „reingewaschen“ worden, was Coetzee immer wieder betont.
Es liegt so etwas wie Neuanfang in der Luft. Coetzee experimentiert mit der Vorstellung einer Neukombination wesentlicher Dinge und Elemente des Lebens und der Moral. Auch das Land, in dem der irritierende Roman spielt, existiert in der realen Welt nicht. Es gibt dort keine Vergangenheit, deshalb scheint die Zukunft offen. In der neuen Welt gibt es schon eine Moral und sie scheint auch nach einem bestimmten Sinn geordnet, nur auf eine solch andere Weise, dass sie mir jedenfalls als Leser fremd geblieben ist.
Es ist das Fehlen jeder Art von Festlegung oder auch nur Andeutung von richtig und falsch, die verwirrt, es ist die Tatsache, dass es keine wirklich sympathische Figur in diesem Roman gibt, und der vollständige Verzicht auf auch nur eine Andeutung von moralischer Eindeutigkeit, die bei aller sprachlicher Brillanz diesen neuen Roman des südafrikanischen Literaturnobelpreisträgers zu einer ernüchternden Lektüre macht, die den Leser mit den entscheidenden Fragen des Lebens allein lässt.
J.M. Cotzee, Die Kindheit Jesu, S. Fischer 2013, ISBN 978-3-10-010825-8
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2014-01-06)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.