Dieser Debütroman von Bill Clegg ist in den USA ein gefeierter Erfolg gewesen. Lange stand er auf der Bestsellerliste der New York Times und ist sowohl für den Man Booker Prize als auch für den National Book Award nominiert gewesen. Etwas, was literarischen Debüts nur höchst selten widerfährt.
Der Roman erzählt in zunächst zusammenhanglos daherkommenden Strängen die Geschichte von June Reid. Am Tag der Hochzeit ihrer Tochter - das ganze Haus ist voll mit Gästen aus der Familie – geht das Haus in Flammen auf. Niemand außer June überlebt diese Katastrophe. Fast bewusstlos vor tiefem Schmerz flieht June den Ort ihres Leids, setzt sich in ihren Wagen und fährt quer durch die USA, wo sie sich in einem Hotel einmietet in der Hoffnung, dass sie hier niemand finden wird.
Bill Clegg hat dem Chaos und der Zerstörung der Familie eine literarische Form gegeben, indem er nach Junes überstürzter Abreise immer wieder neue Personen unchronologisch erzählen lässt. Das macht das Lesen zunächst schwer und ich war lange Zeit versucht, das Buch aus der Hand zu legen. Doch ganz langsam entwickelt sich ein Bild. Wie in einem Mosaik setzt Clegg die Bruchstücke von Junes Familie wieder zusammen, die einzelnen Beziehungen und Konflikte, die gesamte Familiendynamik und die nachbarschaftlichen Beziehungen, in die sie eingebunden war.
Langsam und dem Leser einiges an Geduld abfordernd, bringt das Kleinstadtgerede, das Clegg zu Wort kommen lässt in verschiedenen immer wiederkehrenden Personen, ganz langsam die Wahrheit über das furchtbare Feuer zu Tage. Gleichzeitig spannt sich unter June ein Netz tief empfundener Mitmenschlichkeit. Ob es sie retten und zurück ins Leben holen kann, bleibt lange offen.
Dieser Roman ist eine bewegende Hymne an die Macht des Mitgefühls, eine literarische Stimme, die ein anderes Amerika zeigt, als das, was zur zeit die Schlagzeilen beherrscht.
Bill Clegg, Fast eine Familie, S. Fischer 2017, ISBN 978-3-10-002399-5
[*] Diese Rezension schrieb: Winfried Stanzick (2017-03-02)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.