Das Jahr 1960 war ein gutes Jahr, um dem amerikanischen Jazz auf die Spur zu kommen. Der Bebop hatte die Schallmauer längst durchbrochen, das Genre strotzte vor Zuversicht und dennoch existierten noch zahlreiche Formen des heute als traditionell geltenden Jazz. Die USA hatten sich nach Weltkrieg und dem Korea-Abenteuer als Weltmacht etabliert, ökonomisch ging es aufwärts und eine mächtige Bürgerrechtsbewegung suchte nun das nachzuholen, was in einem Land, das seine Werte exportieren wollte, längst überfällig war. Umso denkwürdiger ist es, dass ausgerechnet der aus Baden-Baden stammende deutsche Jazz-Historiograph Joachim E. Berendt es war, der auf die Idee kam, kreuz und quer durch die USA zu reisen und den zeitgenössischen Jazz zu dokumentieren. Berendt war es, der den amerikanischen Fotografen William Claxton kontaktierte und ihn bat, an seiner Seite an einem Projekt mitzuarbeiten, das den treffenden Titel JAZZ LIFE. A Journey For Jazz Across America in 1960 trug und in einem Bildband endete, der nun mit atemberaubenden Bildern und zeitlosen Texten in einem Band vorliegt, der zudem bezahlbar ist.
Die Reise begann, wie sollte es auch anders sein, in New Orleans und folgte dann dem Mississippi stromaufwärts über Memphis, St. Louis, Kansas City bis nach Chicago, jener Route, die die ersten Berufsmusiker des Jazz gegangen waren, um aus der reinen Bar- und Bordellunterhaltung herauszukommen. Von dort ging es über Hollywood, Los Angeles und San Francisco die Westküste entlang, um über das industrielle Detroit nach New York zu kommen, das sich gerade als die Jazz-Metropole schlechthin etabliert hatte.
Zu jeder dieser Stationen schrieb Berendt eine prägnante Einleitung, die die jeweilige Bedeutung anschaulich machte und den historischen Stellenwert als Markstein des Jazz erklärte. Was William Claxton bei diesen Stopps einfing, ist nicht nur im Hinblick auf den Jazz und seine Akteuere, sondern auch photographiegeschichtlich phänomenal. Claxton gelang es, die soziale, biographische und künstlerische Seite des Jazz einzufangen, wie es seitdem nur wenigen gelungen ist.
Zu sehen ist das soziale Elend, die gesellschaftlichen Rituale, die Angst, die Hoffnung, die Begeisterung, der Stolz, die Verlorenheit und die Lebensfreude, die von dieser Musikrichtung ausgehen. Natürlich haben die Armstrongs, die Coltranes, die Parkers, die Brubecks, die Franklins, die Holidays, die Ellingtons, die Adams, die Gillespies, die Davis und die Montgomerys ihren Platz, doch sie sind eher Randerscheinungen, die Fotographien machen deutlich, dass diese großen Figuren dazugehören, ihre Seele allerdings aus den Alltagssituationen entstand und die Vitalität des Ganzen ausmachte und ausmacht. Da sind die unbekannten Musiker, die mit ihren Inspirationen, ihrer Virtuosität und ihrem Gefühl die Menschen begeisterten, die sie begleiteten auf den Beerdigungen in New Orleans, an den Tankstellen von Memphis, in den Tanzsälen von St. Louis, in den Schulen von Kansas City, in den Clubs von Chicago, an den Stränden der Westküste, in den Arbeiterbars von Detroit und den Kaschemmen von New Yorks Harlem. Es wird deutlich, das für viele Underdogs und Outcasts der Jazz Halt geboten hat und ihnen eine Perspektive zu bieten in der Lage war.
Berendts Texte sind der rationale Rahmen, der vieles verstehen lässt, Claxtons Bilder treffen die Seele in all ihren Schattierungen.
[*] Diese Rezension schrieb: Gerhard Mersmann (2011-07-30)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.