Wenn am 10. Oktober der Film von Robert Dornhelm in die Kinos gekommen sein wird, wird die Oper „La Boheme“ wohl wieder ein paar tausend Fans mehr bekommen haben. Der vom Regisseur als „Einstiegsdroge für Leute die Oper noch nie auf der Bühne gesehen haben“ bezeichnete Opernfilm wurde mit Anna Netrebko (Mimi) und Rolando Villazon (der Poet Rodolfo) im Februar dieses Jahres abgedreht und stellt wohl jetzt schon – noch vor Erscheinen – eine Sensation dar.
Dabei hat das Duo Netrebko-Villazon nicht das erste Mal zusammengearbeitet. Schon in Verdis „La Traviata“ in Salzburg oder in „Romeo et Juliette“ an der Wiener Staatsoper, dann in „Manon“ von Massenet in Los Angeles und später an der Berliner Staatsoper hatten die beiden einige gemeinsame Auftritte bestritten. Von ihren bekanntesten Duetten ist übrigens ebenfalls eine CD erschienen. In der „Boheme“ standen die beiden erstmals 2006 am Mariinski-Theater in St. Petersburg auf der Bühne, dann an der Met in New York in der Regie von Altmeister Franco Zeffirelli und beide wurden dafür schwärmerisch gelobt und von der Kritik gefeiert. Ein „leidenschaftlicher, ungewöhnlich jungenhafter, empfindsamer“ Rodolfo sei zu sehen gewesen und eine „wie üblich strahlende, volltönende, warme“ Netrebko.
Wer die Klänge von „Mi chiamano Mimi“ vernimmt, kann die Probe auf`s Exempel machen. Schon einmal hat eine große Künstlerin diese Zeilen intoniert und sie sind auch noch auf Tonbändern oder remasterten CDs zu hören. Die Anna Netrebko ist aber der unbestrittene Opernstar unserer Zeit und es tut gut zu wissen, Teil von etwas Großem sein zu können und nicht immer in der Vergangenheit nach diesem Großen suchen zu müssen. Denn Maria Callas ist tot, doch Anna Netrebko lebt und lässt uns an ihrer unglaublichen Stimme, deren Klarheit und Reinheit unbestritten genial in diesen Opernabend hineinleuchtet, teilhaben. „Mi chiamano Mimi, perche non so, Sola mi fo il pranzo da me stessa. Non vado sempre a messa, ma prego assai il Signor. Vivo sola, soletta, la in una bianca cameretta.” Wer bei diesen Zeilen nicht zumindest feuchte Augen bekommt oder leise Schauer seinen Rücken aufsteigen spürt, hat wohl kein Herz oder kann kein Italienisch. Oder eben beides. Denn um diese Worte zu verstehen braucht es keine Fremdsprachenkenntnisse. Das Drama ist klar und die Geschichte der „Boheme“ schnell erzählt. Mimi hat Schwindsucht, liegt im Sterben und der arme Poet Rodolfo verlässt sie, damit sie einen anderen finde, der reicher wäre und ihre Krankheit mit seinem Geld heilen könnte. Dass man die „Synopsis“ auch in zwei Sätzen zusammenfassen kann, tut der Geschichte keinen Abbruch. Die Schönheit liegt gerade darin, dass genau diese beiden Sätze in zwei Stunden oder mehr erzählt werden und die schönsten Worte dafür gefunden werden, die es in der italienischen Sprache wohl dafür gibt, für die Liebe.
Das Teatro Comunale di Firenze gab mir 2006 die Möglichkeit die Oper „Boheme“ in ihren heiligen Hallen erstmals zu sehen und zu hören. Die Aufführung war natürlich mit anderer Besetzung, dafür aber etwas länger geratend als diese beiden hier vorliegenden nur 105-minütigen CDs. Es kann natürlich sein, dass mir das nur so vorkam, weil ich so ergriffen war und die am Plafond eingeblendeten italienischen Worte erstmals verstand. Eigentlich wäre es vorgesehen gewesen, erst im dritten Bild zu heulen, doch mir passierte das schon im ersten: endlich verstand ich nicht nur die Sprache, sondern die gesamte italienische Kultur, die wie keine andere ausgerechnet in der Boheme, die eigentlich das Pariser Leben widerspiegelt, repräsentiert wird: „much ado about nothin`“, ja, aber es war alles so toll erzählt und eingebettet in eine wunderschöne Erzählung, ein trotz Modernisierung perfekt adaptiertes Bühnenbild und unsagbar klare Stimmen. Man möchte es Robert Dornhelms Film wünschen, dass er so einen Opernabend ersetzen könnte, zumindest aber wird er diejenigen neugierig auf die Oper machen, die sie bisher als „bourgeoise Hochkultur“ ablehnten. Denn das ist sie ganz bestimmt nicht. Die Oper gehört uns, dem Volk!
In der vorliegenden CD-Ausgabe finden Sie die Oper also auf zwei CDs in insgesamt 105-minütiger Länge. Das beigelegte Booklet gibt natürlich das „Libretto“ wieder (150 Seiten) und zwar in insgesamt fünf Sprachen, auf Italienisch, Deutsch, Französisch, Spanisch und Englisch. Auf weiteren 50 Seiten finden Sie noch eine Einführung in die Geschichte der Oper von Norbert Christen und die Synopsis, alles auch in fünf Sprachen und ein paar S/W Fotos. Weitere DVDs und CDs von Villazon oder der Netrebko finden Sie auch auf der oben zitierten Homepage. Zum Beispiel die Traviata, Manon, oder das „Russian Album“, Duets und vieles mehr. Wenn Sie mit dem vielsprachigen Booklet vielleicht die italienische Sprache auch nur ein bißchen lernen, eines lernen Sie ganz bestimmt perfekt: zu lieben!
Chor & Orchester Bayerischer Rundfunk/Bertrand de Billy:
Giacomo Puccinis “La Boheme”
Mit Anna Netrebko und Rolando Villazon
2008
Deutsche Grammophon/Universal www.deutschegrammophon.com/boheme
2 Audio-CDs
insgesamt 105 min plus 200-seitigem Booklet
25,29.-
[*] Diese Rezension schrieb: Juergen Weber (2008-11-28)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.