„Warum erhängt man sich, wenn man so reich ist?“, frägt sich die neue Bedienstete, die offensichtlich die Protagonistin des Films ist. Der nach Sarah Waters‘ Bestseller "Solange du lügst" gedrehte Film spielt im Südkorea der Dreißiger Jahre in einem herrschaftlichen Anwesen, das halb Englisch und halb Japanisch gebaut wurde: als Huldigung an beide Kulturen. Das Herzstück des Hauses ist aber eine Bibliothek, die auch europäische Werke wie z.B. von Marquis de Sade enthält. Die schöne, aber unnahbare Lady Hideko, die mit ihrem dominanten Onkel Kouzuki in dem ererbten Anwesen lebt, muss zahlungskräftigen Freunden ihres Onkels aus den erotischen Werken vorlesen, um so den Preis der Bücher in die Höhe zu treiben. „Du musst beim Lesen Pausen machen, sonst klingt es wie das Schlabbern eines Hundes“, ermahnt Kouzuki seine Nichte Hideko. Die lüsternen Blicke der alten Herren wandern nicht nur auf ihre Lippen, sondern auch überall dorthin, wo Hideko ungeschützt ist.
Diener und Knecht
Als ein neues Dienstmädchen, die junge und naive Sookee, ins Haus von Lady Hideko kommt entwickelt sich bald eine Beziehung zwischen den beiden noch unerfahrenen Frauen. So wird in einer der vielen erotischen Szenen der „Taschendiebin“ die Herrin nackt in einem Badezuber gezeigt und ihr von ihrem Dienstmädchen ein Lollypop in den Mund gesteckt. Als erstere sich über eine raue Stelle auf einem ihrer Zähne beklagt, holt letztere eine Art Schleifpapier um ihre Herrin von der Unangenehmheit zu befreien. Wer diese Szene sieht, kann sich ausmalen, dass die beiden noch miteinander im Bett landen werden und tatsächlich kommen Freunde des lesbischen Sex auf ihre Kosten, da Sokee Hideko alles zeigen muss, was die Männer von ihr wollen werden, wenn sie sie einst zur Frau nehmen werden.
Mission oder Submission?
Was Lady Hideko allerdings nicht weiß, ist, dass Sookee eigentlich eine Taschendiebin und Betrügerin ist, die engagiert wurde, um Hideko dem gerissenen Grafen Fujiwara in die Hände zu treiben, damit dieser ihr Vermögen übernehmen kann. Aber ein überraschender plot twist sorgt dann für die Verwirrung, die einen spannenden und unterhaltsamen Film ausmachen. Der berühmt-berüchtigte Kult-Regisseur Park Chan-wook („Oldboy“, „Stoker“) hat mit seiner „Taschendiebin“ einen intensiven und unvorhersehbaren Thriller über die Macht der Gefühle effektvoll inszeniert und auch intime Szenen wie bittersüße Lutscherküsse eingebaut. Liebeskugeln, ein böser Geist und eine gewisse südliche Pforte, die fest wie die Rüstung eines Samurai und so zart wie Seide ist, spielen ebenfalls eine wichtig Rolle in diesem südkoreanischen Erotik-Thriller, der sich kein Blatt vor den Mund, sondern einen Lutscher in den Mund nimmt. „Eine gute Geschichte lebt von den Details“, das weiß auch der Folterknecht in der „Taschendiebin“.
Park Chan-Wook
Die Taschendiebin
Südkorea 2016
Mit KIM Min-hee, KIM Tae-ri, HA Jung-woo, CHO Jin-woong, KIM Hae-sook, MOON So-ri u.v.m
Koch Media, Thriller ca. 145 min
FSK 16
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2017-06-17)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.