Markus Caspers, Professor für Design & Medien, Hochschule Neu-Ulm, ist der Herausgeber dieses wundervollen Bildbandes, der dem Vinyl Lifestyle huldigt und die Legende Schallplatte hochleben lässt. Über 200 Fotografien zeigen die "Kult- und Kulturgeschichte" rund um die schwarze Scheibe: Sammlerstücke, Cover-Art & Co.

Vinyl: eine Welt, eine ästhetische Erfahrung

Der Text und die Bildbeschreibung sind zweisprachig und die Herangehensweise slow und analog. Es geht aber nicht nur um Nostalgie, sondern auch um wegweisende neu Entwicklungen: denn die Schallplatte ist noch lange nicht tot, auch wenn dies schon mehrmals prophezeit wurde. Auch wenn sich Musik heute mühelos und jederzeit vom Handy abrufen lässt, macht es doch ein spezielles Gefühl aus, in seiner eigenen Plattensammlung zu wühlen und ein ganz bestimmtes Lied zu finden. Ein unersetzbares Gefühl, denn es beschwört Erinnerungen herauf, die ganz und gar immateriell sind, aber dennoch die Materie brauchen: die schwarze Materie, das Vinyl! "Vinyl ist eben eine Welt", schreibt der Professor, "nicht nur ein Algorithmus". Die Interaktion eines Subjekts mit einem Kunstwerk, hat John Dewey nicht umsonst "ästhetische Erfahrung" genannt. Und genau um eine solche handelt es sich beim Vinyl-Fetischismus, der wieder in aller Munde ist. Markus Caspers lädt den geschätzten Leser ein auf eine Reise der Vinyl-Freaks und Skurrilitäten. So gibt es in Australien etwa eine besondere From der Gastlichkeit: Das Brae in Birregurra, Provinz Victoria, hat in jedem Gasteapartement einen Plattenspieler und eine Vinylsammlung vorzuweisen. Oder die Kanadierin Kristin Poch: sie erbte von ihrem Vater 15.000 Platten und machte kurzerhand einen fahrenden Plattenladen daraus. Mit dem "Beatnik Vintage & Vinyl" Blue Bus tourt sie durch Calgary und Umgebung. Aber auch besondere Plattenläden auf der ganzen Welt besuchte Markus Caspers für seine Dokumentation des lebendigen Vinyllebens. Oder die Whiskey & Vinyl Läden in Japan, die sich dort JazzKissa nennen. Hier gibt es ausschließlich Vinyl und Spirits, wobei letzteres durchaus doppeldeutig zu verstehen ist. Natürlich gibt es auch einige Design Plattenspieler und eben solche Platten zu sehen.

Das "Mädchen mit Schallplatte"

"Ein Fotoalbum mit Klang", das bedeutet eine Vinylscheibe für den Autor, denn diese Scheibe habe ich damals dort und dort gekauft und dann dort und dort gehört und dann ist das und das passiert. Wer kennt das nicht? Auch die Wahrnehmung der Zeit ist natürlich eine andere. Es macht einen großen Unterschied, ob ich auf einem Player ein Überangebot von Musik habe, das ich kurz anspiele, bis ich das Richtige gefunden habe, oder ob ich mich auf eine bestimmte Stimmung eintune und dann eine bestimmte Schallplatte aus meiner Sammlung heraussuche und auf den Plattenteller zu legen, um dann - eben so langsam - den Tonarm darauf abzusenken. Ein Gefühl für Götter, wenn sich dann die Nadel in die Rille für den gewählten Song gleich vor dem ersten Ton einschmiert und das gewünschte Musikstück über die Boxen erklingt. Das ist fast noch besser als ein LIVE Gefühl, denn ich habe selbst etwas dazu beigetragen: ich habe gewählt. Markus Caspers beginnt seine Geschichte bei Graham Bella Graphophon, die Edisons Phonograph im Klang noch um einige Längen übertraf. Aber schon 1878 gelang Emil Berliner mit seinem Grammophone der Durchbruch in erweiterte Klangwelten. Markus Caspers unterlegt seine Ausführungen zur Schallplatte mit einer Reihe interessanter Abbildungen, neben Biographien der Entwickler der Schallplatte schmückt auch ein Gemälde aus dem Jahre 1941 seine Publikation. Es trägt den Titel "Mädchen mit Schallplatte" und stammt vor Karl Hofer, der von den Nazis aus allen seine Ämtern und Funktionen entfernt worden war. Das melancholische Porträt aus dem Jahre 1941 (!) ist ebenso modern, wie die Erfindung, die es in Händen hält: eine schwarze Vinylscheibe.

Markus Caspers
Vinyl World
2022, Hardcover, 208 Seiten
Mit 100 Farb- und 100 Schwarz-Weiß-Fotografien
Format: 23,5 x 30 cm
€ 39,90
teNeues

[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2022-02-28)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.