„Ich bin der fieseste Drecksack auf Erden, Avvocato“, meint Giorgio, der Protagonist und Ich-Erzähler des vorliegenden Romans zu seinem Anwalt, „Aber zum Glück bin ich ihr Freund“. Die „thymotische Generation“ nannte eine deutsche Wochenzeitschrift unlängst die 68er, die 49 Jahre nach ihrem Wirken wieder in aller Munde sind. Platon unterschied in der Antike zwischen drei menschlichen Grundmotivationen der (sterbliche) Thymos (?????) die (unsterbliche) Psyche (????) und Nous (????). Was als Lebenskraft oder auch Pubertät („im Saft sein“) übersetzt werden könnte, trifft wohl auch auf den Autor des vorliegenden Kriminalromans zu, der seinen Protagonisten - wohl stellvertretend für sich selbst - sich an der ganzen Gesellschaft rächen lässt. Und mit Gesellschaft ist in diesem Fall nicht nur die „ehrenwerte“ gemeint, sondern das ganze System aus Korruption, Verbrechen und Profitgier.
Anti-Held mit Ambitionen
Massimo Carlotto, geboren 1956 in Padua, der bevor er erfolgreicher Schriftsteller wurde, ein Sympathisant der extremen Linken war und sich als solcher auch nach Südamerika absetzen musste, da er wegen Mordes gesucht wurde, deckte in einer einfachen, aber umso schonungsloseren Sprache den Sumpf zwischen Politik und Verbrechen auf, denn was uns gerne als Widerspruch verkauft wird, sei in Wirklichkeit die Kehrseite derselben Medaille: die Verbrecher und die Politiker sind bei Carlotto aus demselben Holz geschnitzt und die Justiz nur ein willfähriges Instrument zur Durchsetzung der Interessen des Meistbietenden. Auf diese Weise wird das brutale verhalten seines Protagonisten Giorgio Pellegrini zwar nicht entschuldigt, aber zumindest erklärt und nachvollziehbar gemacht, denn auch er ist nur ein Kind seiner Zeit, allerdings eines, das es satt hat, Opfer zu sein. Bis zu dem Moment, als er durch seine eigenen Intrigen in die Hände der kalabrischen Mafia gerät.
Poesie des Verbrechers
Grace Slick, die Sängerin von Jefferson Airplane, gehört zu seinen angebeteten Frauentypen, sich selbst hält er für einen kreativen Verbrecher, der die Verbrecher selbst aufs Kreuz legt und so manche Prostituierte gleich mit. Aber auch seine Freundinnen und Ehefrauen behandelt er wie Dreck, ganz zu schweigen von seinen Verbündeten, da er es hasst, die Beute zu teilen. „Ich klopfte ihm freundschaftlich lächelnd auf die Schulter und freute mich schon darauf ihn abzuknallen. (...) Ich war ein Mistkerl. Endlich hatte ich die Möglichkeit, zu den Gewinnern zu gehören.“ Die vorliegende Buchfassung verbindet den Roman „Arrividerci amore, ciao“ mittels des Mittelstücks „Einige Monate später“, das von Massimo Carlotto eigens für diese Ausgabe verfasst wurde, zu einem knallharten Krimi mit politischem Tiefgang und viel Poesie, da er gerne Liedtexte zitiert. Gerade als Pellegrini mit seinen Geschäften endlich in der Legalität angelangt ist, woran er 11 Jahre gearbeitet hat, macht ihm sein engster Vertrauter zwei Millionen abspenstig. Und das ruft sein kriminelles Gewissen erneut auf den Plan, bei dem er in einem gnadenlosen Showdown nicht nur das Veneto, sondern die ganzen dortigen Machtstrukturen durcheinander wirbelt.
Massimo Carlotto
Am Ende eines öden Tages
Roman aus dem Italienischen von Hinrich Schmidt-Henkel, Katharina Schmidt und Barbara Neeb (Alla fine di un giorno noioso)
1. Aufl. 2016, 381 Seiten, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-608-50137-7
14,95 EUR, broschiert
Klett Cotta/Tropen Verlag
[*] Diese Rezension schrieb: Jürgen Weber (2017-06-05)
Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.