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Truman Capote - Sommerdiebe
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Capote, Truman:
Sommerdiebe

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(Bücher frei Haus)

Im Jahr von Truman Capotes achtzigstem Geburtstag (der Mann war mit sechzig allerdings verstorben), 2004, wurde in einem Umzugskarton das in Schulhefte geschriebene Manuskript seines ersten Romans gefunden, den er Jahrzehnte zuvor einem Bekannten übergeben und später auf den Sperrmüll hatte stellen lassen, was jener Bekannte aber nicht getan hatte. „Sommerdiebe“. Im Original heißt das „Summer Crossing“ und spielt auf die Atlantiküberquerung nach Paris an, zu der sich zu Beginn des Buchs die Eltern der achtzehnjährigen Grady McNeil aufmachen. Das Mädchen weigert sich mitzukommen, verbringt den New Yorker Sommer alleine. Na, nicht ganz so allein, es gibt einen, den Eltern bislang verschwiegenen Freund, einen älteren und sozial benachteiligten.

Truman Capote, als er das schrieb, war kein Oberschichtmädchen. Aber er war auch nicht älter als neunzehn, im Jahr davor Praktikant beim „New Yorker“ gewesen, rausgeflogen, weil er bei einer Autorenlesung zu laut gegähnt hatte. Aus der Redaktion ist überliefert, dieses seltsame Wesen habe keiner einordnen können. Ein hoch talentiertes Bürschlein, das wie vierzehn wirkte, die Stimme eines Mädchens hatte. Seltener gegähnt hatte Capote beim Lesen der Bücher von F. Scott Fitzgerald und Dorothy Parker. Wer einige Storys von denen kennt, findet sich in „Sommerdiebe“ nicht bei anderen Stimmen, eher in bekannten Räumen.

„Andere Stimmen, andere Räume“, als er das gelesen habe, erzählte Andy Warhol, habe er seinen Geistesverwandten entdeckt. Er hege große Achtung, wenn einer die Worte perfekt zu setzen verstehe. Eben aus Pittsburgh nach New York übergesiedelt, habe er Fanbriefe ans junge Genie geschrieben und bei ihm angerufen. (Capote war vier Jahre älter und also fünfundzwanzig, beide waren sie natürlich schwul.) Die Kunstauffassung des debütierenden Andy Warhol lässt sich in „Sommerdiebe“ tatsächlich auch finden, jenes schmückende, mädchenhafte, realistische Zeichnen. Das wird die jungen Damen der besseren Gesellschaft verzaubern. Andy Warhol musste dann aber noch ganz was anderes treiben, um tatsächlich zu einem Star zu werden. Truman Capote hat es zu früh geschafft mit einer flirtenden Süßigkeit.

Mit neunzehn, rausgeschmissen aus der Redaktion, ließ er sich vom Onkel Geld geben, um ein Dreivierteljahr leben und an „Sommerdiebe“ schreiben zu können. Er hat diesen ersten Versuch später mehrfach wieder hervorgeholt und verändert, wurde aber nie glücklich damit. Man versteht es. Der kurze Roman ist geschmackvoll, unterhaltsam, ist Scott Fitzgerald und Dorothy Parker, verspielt und fein, aber nicht das, was wir für überwältigend ansehen würden.

Zitat:

In der Wohnung der McNeils sah es aus, als seien Unmengen von Schnee gefallen, hätten sich dämpfend auf die großen Gesellschaftsräume gelegt und die Möbel in frostige Flecken gehüllt: Samt und Handarbeiten, die feinen Patinas und die empfindlichen Vergoldungen, alle schützten sich gespensterweiß in ihren Schonbezügen gegen den Schmutz des Sommers. Irgendwo weit fort in diesem Halbdunkel aus Schnee und zugezogenen Vorhängen klingelte ein Telefon.

„Patinas“? Für die neue Gesamtausgabe der Werke Truman Capotes ließ der Verlag Kein & Aber alles, also nicht nur diese Erstveröffentlichung, frisch übersetzen. Ob allerdings hieb- und stichfest, ist die Frage. Da ist es ein heißer Sommernachmittag, die jungen Leute verlustieren sich im Park und futtern „heiße Erdnüsse“? Heiße? In der Hitze? Nicht eher „scharf gewürzte“?

Hier ein Zitat von Seite 137, das den Juwelenstil des jungen Genius vermittelt. Gewiss, das ist blendend geschrieben. Man könnte es auch ein wenig hassen, weil man bei jedem dritten Wort merkt, wie sehr da die Verblüffung des Lesers herbei gezwungen werden soll. Unser Mädchen Grady ist also minderjährig und sprengt in diesem Sommer ohne elterliche Kontrollen ihre Grenzen. (Die Liebe scheitert natürlich, was sonst?) Jetzt hat sie einen Joint geraucht und sich mit dem Freund in einen Jazz Club zu den Schwarzen herabgelassen. Außerdem kommt eine Tüte Pfefferminzbonbons ins Spiel und ein Schmetterling, von dem berichtet worden ist, er habe sich in diese Tüte verflogen. Dann bricht im Club eine Schlägerei aus.

Zitat:

Nur die Negerin bewegte sich, sie legte den Arm um Grady, und zusammen gingen sie ein wenig torkelig zur Damentoilette. Solange ich hier bin, kann mir nichts passieren, dachte sie und ließ den Kopf an den harten Brüsten der Gitarristin ruhen. „Er hat mir einen Schmetterling mitgebracht“, sagte sie und sprach in einen braunen, abblätternden Spiegel. „Er war in einer Pfefferminztüte.“ Die Gitarristin sagte: „Es gibt einen Weg auf die Straße: durch die Tür da, dann zur Küche raus“, aber Grady antwortete lächelnd: „Ich dachte, es wäre ein Pfefferminz, er hat genauso süß geschmeckt; fühl mal meinen Kopf, fühlst du, wie er darin fliegt?“ Die Hände um den Kopf zu spüren, war beruhigend, es milderte das Schaukeln dort, das Sturzfluggeräusch. „Und manchmal fliegt er auch woanders, in meiner Kehle, in meinem Herz.“ Die Tür ging auf und die kleine Schlagzeugerin, die wie eine laszive Schullehrerin aussah, kam herein und schnippte triumphierend mit den Fingern. „Die Luft ist rein“, verkündete sie.


[*] Diese Rezension schrieb: Klaus Mattes (2016-01-03)

Hinweis: Diese Rezension spiegelt die Meinung ihres Verfassers wider und muss nicht zwingend mit der Meinung von versalia.de übereinstimmen.


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